Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
geradezu unermesslich waren. Der Sand der Zeit hat dieses
Wissen jedoch unter sich begraben, wie so vieles andere. Wir sind die wenigen Letzten,
die damit vertraut sind.«
»Wenn
Sie wir sagen, sprechen Sie nicht nur von den Personen in diesem Raum,
habe ich recht?«, vermutete Kiro.
»Durchaus
nicht. Wir befinden uns im Krieg, und wie in jedem Krieg gibt es zwei Fronten.
Auf der einen Seite stehen unsere Feinde, deren Macht ihr bereits zu kosten
gezwungen wart. Auf der anderen Seite dagegen befinden sich jene, die gegen sie
streiten. Früher gehörte auch ich zu ihnen, und nun sieht es ganz so aus, als
würde ich erneut zu meinen Wurzeln zurückkehren müssen …« Sein Blick schweifte
für einen Augenblick ab und verfing sich in der Ferne, auf der Suche nach
längst vergangenen Bildern, die erneut Gestalt annahmen.
»Das
mag ja alles sein«, riss Kiro ihn aus seinen Gedanken, »aber was hat das alles
mit uns zu tun? Nur, weil wir zufällig eine gewisse Begabung besitzen,
werden wir sofort in irgendeinen Krieg verwickelt?«
Hansens
Gesicht verfinsterte sich. »Nicht wir selbst entscheiden, ob wir kämpfen, Kiro,
sondern einzig und allein unsere Gegner. Denkst du, ich hätte freiwillig ein
Leben in Ungewissheit geführt? Ein Leben, in dem ich mir das Gesicht meiner
Freunde gut einprägen musste, weil ich mir niemals sicher sein konnte, ob ich
sie vielleicht zum letzten Mal sah?« Hansen funkelte Kiro unverhohlen zornig
an. »Ich hatte gute Gründe, mich aus dieser Sache heraushalten zu wollen,
Junge. Es ist nicht das erste Mal, dass Unschuldige verfolgt werden, vor etwa achtzehn
Jahren war es nicht anders, ganz im Gegenteil. Es war um ein Tausendfaches
schlimmer. Menschen starben, einfach so.« Er schnippte mit den Fingern.
»Aber
wie … wie ist das möglich?«, murmelte Kiro. »Wie ist es möglich, dass so viele
Menschen getötet wurden, ohne dass jemand etwas dagegen unternommen hat?«
Hansens
Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. »Das überrascht dich, nicht wahr?
Dass so etwas hier geschehen konnte, in unserer hochgepriesenen westlichen
Zivilisation, mit all ihren heiligen Gesetzen und Rechten, ihrer Demokratie .«
Das letzte Wort spie er uns geradezu vor die Füße. »Ich werde dir sagen, wie es
war. Man hat uns verleumdet, uns bei der Regierung angeschwärzt. Wir wurden als
Verbrecher dargestellt, als Teufelsanbeter, als Wahnsinnige – vor allem als anders .
Die Fremdheit ist es, welche die größte Angst in der Bevölkerung schürt und sie
nach Blut schreien lässt. So kam es, dass wir zum Feind wurden. Mit einem Mal saß
uns die Polizei im Nacken, wollte uns den Garaus machen. Sie hätten alles gegeben,
um uns am Boden zu sehen. Und als dann die anderen kamen«, Hansen ballte die
Hand zu einer zitternden Faust, »hätten diese Schweine keinen Finger gerührt,
um uns zu retten. Im Gegenteil, sie waren heilfroh darüber, dass wir Freaks uns
nun gegenseitig zu vernichten schienen und sie sich nicht mehr die Hände an uns
schmutzig machen mussten.«
Kiro
hob abwehrend die Hände. »Nun schalten Sie einmal einen Gang zurück! Sie sagen,
die Polizei hat Menschen vernichtet? Das wäre gegen jedes Recht, jede Logik.«
»Mit
der Polizei fing es an«, bestätigte Hansen düster. »Es gab keine offiziellen
Hinrichtungen, keine Prozesse, wenn du das glaubst. Nur eine Reihe von … Unfällen .«
Er grinste humorlos. »Viele der Personen, die die Polizei zu fassen bekam,
wurden nur wenige Monate später tot in ihren Zellen aufgefunden. Man ging der
Sache nicht weiter nach, denn zum einen handelte es sich schließlich nur um eine
Handvoll Satanisten«, seine Mundwinkel zuckten, »und zum anderen wurden
ärztliche Befunde gefälscht, welche die Langzeitwirkung irgendeines Fantasie-Rauschmittels
als Todesursache angaben. Die Herren waren fein raus aus der Sache, und wir hatten
ihnen nichts entgegenzusetzen.«
»Und
wer waren sie wirklich?«, fragte Kiro. »All diese Menschen, die so sinnlos
sterben mussten?«
»Die
Wenigen, die von sich wussten, wer sie wirklich waren«, antwortete Hansen
bitter. »Wir schlossen uns zusammen, um gemeinsam dort weiterzumachen, wo
unsere Vorfahren einst aufgehört hatten. Wir erforschten das Unbekannte. Das
heißt – wir ist nicht ganz richtig. Ich stieß erst sehr spät zum kleinen
Zirkel, zu einem Zeitpunkt, als er eigentlich schon längst zerschlagen war, die
Ruine eines einstigen Palastes, wie ein guter Freund von mir es einmal ausdrückte.
Dieser Freund war es auch,
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