Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
geschah hier, auf Ihrem Grund und Boden!«
»Aber
sie lebt«, unterbrach Hansen Kiro scharf, als dieser energisch fortfahren
wollte. »Sie lebt, nicht wahr? Und wenn sie im Haus geblieben wäre, wäre ihr
diese Attacke vielleicht gänzlich erspart geblieben. Die Legenden, die besagen,
dass ein Dämon eingeladen werden muss, um eine Schwelle übertreten zu dürfen,
kommen nicht von ungefähr. Zuhause ist man stärker als in der Fremde. Es
bewahrt einem nicht vor jedem Unheil, das nicht, aber ein Magier, der nur ein
wenig Ahnung vom Wirken der alten Künste hat, wird sich hüten, einen Zugriff
auf die Heimat seines Gegenspielers zu riskieren.« Hansen sog tief die Luft in
die Lungen, seine Hände verkrallten sich in seinen Hosenbeinen. Mit einem Mal
schien die Erregung aus seinen Gliedern zu weichen wie die Luft aus einem
beschädigten Ballon. »Versteht mich nicht falsch, es beunruhigt mich zutiefst,
dass Er hier aufgetaucht ist, noch dazu in Gestalt eines Verbündeten.«
Er lachte trocken. »Was rede ich denn da? Ich bin nicht beunruhigt, ich bin
krank vor Angst und Sorge. In einer Sache muss ich dir recht geben, Junge:
Sollte Er tatsächlich beschließen, uns zu vernichten, gibt es nichts,
absolut nichts, was wir Ihm entgegensetzen können.«
»Wie
ermutigend«, murmelte Kiro.
»Ich
möchte nur nicht, dass ihr die drohende Gefahr unterschätzt«, sagte Hansen.
»Doch keine Sorge, ich werde euch mit dem nötigsten Rüstzeug ausstatten, damit
ihr euch im Extremfall so gut wie möglich eurer Haut erwehren könnt. Gleich
morgen früh werden wir die ersten Lektionen in Angriff nehmen. Wir haben keine
Zeit mehr zu verlieren.«
»Zauberunterricht?«,
fragte Kiro. Es hätte wohl spöttisch klingen sollen, doch stattdessen klang es
schal, säuerlich.
Hansen
reagierte ganz anders, als ich erwartet hätte. Anstatt Kiro in seine Schranken
zu verweisen, lächelte er und nickte sogar. »Wenn du es so nennen willst. Allerdings
muss ich euch warnen. Morgen wird ein harter Tag. Die Dinge, die ich euch lehren
möchte, sind nicht so einfach, wie ihr vielleicht denkt. Es handelt sich dabei
um eine uralte Kunst, die ihr vollkommen neu erlenen müsst.«
»Und
… dann?«, fragte ich stockend. »Bleiben wir bei Ihnen?«
Hansen
machte eine Bewegung, die irgendwo zwischen einem Nicken und einem
Schulterzucken angesiedelt war. Er schien von dieser Entwicklung der Dinge
alles andere als begeistert zu sein.
»Für
wie lange?« Die Worte kamen mir nur sehr mühsam über die Lippen.
Hansen
wirkte bedrückt. »Ich kann euch nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis ihr
wieder in euren gewohnten Alltag zurückkehren könnt. Ihr solltet euch nicht zu
viele Hoffnungen machen, dass es überhaupt jemals der Fall sein wird. Das Leben,
das ihr kanntet, existiert nicht länger. Es gibt keinen Weg zurück.«
Nein,
es gab keinen Weg zurück. Die Erkenntnis stand mir klar vor Augen, traf mich
bis ins Mark. Mein früheres Leben war für immer vorüber. Es war, als wäre die
alte Laura in den Flammen umgekommen, und ich sah keine Möglichkeit, sie von
den Toten zurückzuholen.
Hansen
warf einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, und ich fühlte mich etwas
peinlich berührt, als ich hörte, wie sein Magen deutlich hörbar grummelte. Kein
Wunder, schließlich war es bereits Mittag, und soweit ich das beurteilen
konnte, hatte nicht nur ich am gestrigen Tag keinen Bissen hinunterbekommen.
»Ich
denke, nun sind alle Unklarheiten beseitigt«, sagte Hansen aufgeräumt und erhob
sich. »Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich sterbe vor Hunger. Mal
sehen, was die alte Junggesellenküche hergibt.«
Kapitel V
Die
»Junggesellenküche«, wie Hansen sie gezwungen fröhlich nannte, gab nicht viel
her, tatsächlich schienen Hansens Küchenschränke ausschließlich mit
Kaffeebohnen, Spirituosen und seit Äonen abgelaufenen Mikrowellenprodukten gefüllt
zu sein, und so hatte der Arzt kurzerhand beschlossen, Kiro und mich im Haus
zurückzulassen, um Vorräte zu besorgen. Seither war bereits eine gute Stunde
vergangen, und ich war des Wartens allmählich müde.
Das
lag vor allem daran, dass es in diesem Haus keine Beschäftigung für mich gab,
die mir die Zeit verkürzt hätte. In Hansens sehr behaglich eingerichtetem Wohnzimmer
existierte wohl mittlerweile kein einziges Staubkorn, das ich nicht schon
genauestens analysiert und in einer Liste hinter meiner Stirn eingetragen hatte,
so oft und genau hatte ich mich bereits hier umgesehen.
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