Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
der mich in jenen Kreis einführte. Er wollte, dass
ich ihm half, seine Bekannten vor der Polizei zu beschützen, indem ich vor
Gericht für sie aussagte. Erst da erfuhr ich von meinen …. nennen wir es
Fähigkeiten. Bisher hatte er vermieden, mich auf meine Veranlagung anzusprechen,
weil er wusste, dass ich ihm nicht glauben würde, aber nun war er in Not und
brauchte meine Hilfe. Und, wie soll ich sagen, anfangs habe ich ihm auch nicht
geglaubt …« Hansen hielt inne, als er bemerkte, dass er Gefahr lief, den Faden
zu verlieren, und rettete sich in ein abschließendes Schulterzucken.
»Ich
verstehe«, murmelte Kiro. Er wirkte sehr bedrückt. »Damals wurden Gründe
gesucht, um Menschen aus dem Weg zu räumen. Um Menschen zu ermorden. Und das
Gesetz stand auch noch voll hinter diesem Verfahren.« Er schüttelte ungläubig
den Kopf. »Das ist … einfach nur krank.«
»Ja,
das ist es.« Hansen seufzte und fuhr sich müde mit der Hand durch das Gesicht.
Ein Bartschatten lag auf seinen eingefallenen Wangen, und zum ersten Mal fiel
mir auf, wie zerschlagen er aussah und wie erschöpft. Mit einem Ächzen ließ er
sich zurück auf die Couch fallen. »Jeder der drei Dutzend Menschen, die damals
ums Leben kamen, war unschuldig, kein einziger hatte etwas Unrechtes oder Verbotenes
getan. Und die Bewohner der Stadt wussten das. Das Volk ist nicht dumm, ganz
und gar nicht, aber es ist feige. Man lässt eine giftig aussehende Spinne nicht
in seinem Schlafzimmer hausen, wenn man sie genauso gut zertreten und auf
Nummer sicher gehen kann. Sie könnte durchaus gefährlich sein, auf jeden Fall
sieht sie abstoßend aus, und sowas möchte man nicht um sich haben. In Wahrheit
ist die Möglichkeit, dass sie giftig sein könnte, nur ein Vorwand, um das
eigene randalierende Gewissen zu beruhigen, das einem zubrüllt, dass man ein
lebendiges, fühlendes Wesen vernichtet, grundlos, nur, weil es da ist und einem
nicht gefällt ...«
Hansen
verstummte bedrückt. Die Stille, die uns alle ergriff, hatte etwas Gespenstisches.
Das Ticken einer Uhr erfüllte mit einem Mal in aufdringlicher Weise den Raum,
und ich hörte, dass wir alle schwerer atmeten als gewöhnlich.
»Und
all das … soll jetzt wieder von vorne losgehen?«, murmelte Kiro und sprach
damit aus, was uns im Augenblick wohl allen durch den Kopf ging.
»Ich
weiß es nicht«, sagte Hansen leise. »Es ist anders als damals. Der Zirkel
existiert nicht mehr, die Bevölkerung hat ihren Zorn gegen unseresgleichen
vergessen. Es gibt keine offenen Verfolgungen, keine Hetzjagden.«
»Aber
der Polizist in der St. Heinrich Klinik …«, warf Kiro ein.
Hansen
schleuderte das Argument mit einer nachlässigen Handbewegung von sich. »Ein
behutsamer, schon beinahe furchtsamer Versuch, an euch heranzukommen. Damals
unterschieden sich die Methoden, an Zielpersonen zu gelangen, erheblich von
dem, was ihr erlebt habt. Außerdem würde es auch gar keinen Sinn ergeben, wenn
die Polizei Maßnahmen gegen eine Vereinigung ergreift, die nicht einmal mehr
existiert. Diese Partei ist nicht mehr im Spiel, das spüre ich einfach. Nein,
die Suppe, die hier am Kochen ist, ist von anderer Natur.«
»Dann
wollen Sie also sagen, dass es Zufall war, dass dieser Polizist uns entführen oder
sogar töten wollte?«
»Nein,
kein Zufall«, widersprach Hansen dem jungen Mann. »Es war ein
Ablenkungsmanöver, das uns auf eine falsche Fährte locken sollte. Die Polizei
war damals nur eine Seite der Medaille. Der wahre Terror war für die Öffentlichkeit
nicht sichtbar, spielte sich hinter den Kulissen der Medien ab. Unsere
eigentlichen Feinde waren weit skrupelloser – und sehr viel mächtiger.«
»Die
dunklen Magier«, vermutete Kiro.
Das
klang furchtbar hochtrabend, fast lächerlich, aber Hansen nickte bloß ernst.
»Eben
diese«, bestätigte Hansen. »Unser erbitterter wie hoffnungsloser Kampf gegen
die Justiz neigte sich bereits dem Ende zu, als sie sich einmischten. Sie
schienen über Kräfte zu verfügen, die die unseren überstiegen, konnten sich
Tiere und Elemente untertan machen. Wir hatten keine Chance gegen sie, unser
Untergang war endgültig besiegelt. Und tatsächlich verloren wir diesen
ungleichen Krieg. Nur wenige von uns konnten sich retten, indem sie ins Exil gingen
oder untertauchten. Ich weiß bis heute nicht, warum sich diese Fremden damals
in unsere Angelegenheiten mischten, und ebenso wenig weiß ich, warum sie es
heute, nach so vielen Jahren, wieder tun. Doch es scheint etwas mit euch
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