Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
ich wusste
einfach nicht, wie ich das durchstehen sollte.
»Wie
geht es dir? Besser?«
»Ja,
ein wenig.«
Meine
Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, ähnlich dem Rauschen der
Blätter im Wind. »Ich … schäme mich für das, was gestern passiert ist. Ich war …«
Ich hob hilflos die Hände. »Ich weiß auch nicht genau«, murmelte ich, mit den
Augen starr einen imaginären Punkt auf dem pastellfarbenen Teppich fixierend.
»Du
brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Kiro sanft. In Widerspruch zu
seinen Worten schien er unendlich froh darüber, dass ich es tat. »Du konntest
schließlich nichts dafür.«
Unerwarteterweise
schaltete sich nun Hansen in das Gespräch ein. »Natürlich nicht. Der einzige Schuldige
in dieser Angelegenheit ist derjenige, der sich unerlaubt auf meinem Grund und
Boden herumgetrieben und meine Gäste belästigt hat. Obwohl für mich unbegreiflich
ist, wie er die Sicherheitsvorkehrungen auf meinem Grundstück umgehen konnte.«
Unvermittelt
schauerte ich, als ich mir das Gesicht des Mannes in Erinnerung rief; seine glühenden
Augen, die merkwürdig spitzen Zähne – noch nicht die eines Raubtieres, aber
auch nicht mehr weit davon entfernt. »Das war kein gewöhnlicher Mensch«,
murmelte ich. »Kein Zaun der Welt hätte ihn aufhalten können.«
»Sprich
nur weiter, Laura«, forderte mich Hansen auf, als ich schweigend die Lippen
zusammenpresste. »Weder Kiro noch ich haben den Mann wirklich zu Gesicht
bekommen. Alles, was wir sahen, war sein Rücken, der schneller in der Nacht
verschwand, als wir ihm mit Blicken folgen konnten. Beschreib ihn uns. Kanntest
du ihn? Du musstest ihn gekannt haben, andernfalls hättest du ihm nicht die Tür
geöffnet, und noch weniger wärst du zu ihm nach draußen gegangen.«
Ich
zögerte mit der Antwort. Hansen würde mich für verrückt halten, ebenso wie
Kiro. Das mussten sie, wenn sie diesen Teil der Geschichte hörten, und
vielleicht hatten sie sogar recht damit. Nach allem, was gestern geschehen war,
war ich mir nicht mehr so sicher, was die Gesundheit meines Geisteszustands
betraf.
»Ich
verstehe, dass es schwer für dich sein muss, das alles in Gedanken zu
rekapitulieren«, fuhr Hansen fort, als er meinen Gesichtsausdruck gewahrte und
ihn falsch deutete. »Aber das ist sehr wichtig. Wie sonst sollen wir dich vor
diesem Mann beschützen, wenn er erneut auftaucht?«
»Es
war Kiro.«
»Was?«
Der Angesprochene starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an, und eine leise
Panik eroberte seine Züge. »Ich? Laura, ich war doch die ganze Zeit über im
Gästezimmer! Ich bin ganz zufällig aufgewacht und habe bemerkt, dass du fort
warst. Dann sah ich die Terrassentür offen stehen und ging nach draußen, aber
da war alles längst geschehen. Ich … ich habe dir nichts getan! Laura, ich schwöre ,
dass ich es nicht gewesen bin!«
»Das
weiß ich«, sagte ich mit bemüht ruhiger Stimme. »Aber es war … jemand wie du.
Er sah so aus, er hatte deine Stimme. Ich weiß ja selbst, wie verrückt das
klingen muss, aber das ist nun einmal, was ich gesehen habe.«
»Das
hatte ich befürchtet.« Hansen stieß einen tiefen Seufzer aus und massierte
seine Schläfen mit beiden Händen, als wollte er einen üblen Gedanken wegkneten.
»Ich
bin nicht verrückt«, behauptete ich.
»Das
weiß ich doch«, gab Hansen zurück. Er schüttelte wie zu sich selbst den Kopf.
»Auch, wenn es mir lieber wäre, du wärst es. Ich …« Wir erwarteten nun beide
eine Erklärung, in Wahrheit kam jedoch etwas völlig anderes. »Ich kann euch das
unmöglich vor meinem ersten morgendlichen Kaffee erklären. Entweder, ihr
begleitet mich in die Küche, oder ihr wartet hier, bis ich wach genug bin, um
mich mit diesem Mist auseinanderzusetzen.«
Ohne
ein weiteres Wort folgten wir Hansen wie Gänseküken, als er in die Küche ging
und dort die Kaffeemaschine anwarf.
»Hansen,
nun reden Sie schon!«, forderte Kiro ungeduldig. »Was hat das alles zu bedeuten?«
»Noch
jemand Kaffee?« Es schien, als hätte Hansen den Jungen nicht einmal gehört.
Wir
schüttelten unisono die Köpfe. Da wir beide begriffen hatten, dass der Arzt
nicht mit der Sprache herausrücken würde, ehe er nicht selbst bereit dazu war,
beobachteten wir unseren unfreiwilligen Gastgeber, wie er sich eine Tasse aus
dem Schrank nahm, das schwarze Heißgetränk unter Gurgeln und Glucksen hineinlaufen
ließ und einen langen Schluck davon nahm. Eigentlich hätte der Kaffee verdammt
heiß sein müssen, doch
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