Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
merklichem Zögern und beinahe widerwillig vollzog Kiro die Bewegung
nach.
Hansen
lächelte zufrieden, trat mit einem gemächlichen Schritt auf mich zu – und
versetzte mir einen kraftvollen Stoß vor die Brust, der mich samt dem Stuhl,
auf dem ich saß, zu Boden warf. Der Angriff ging so schnell vonstatten, dass
ich nicht einmal Gelegenheit fand, einen Schreckensschrei auszustoßen. Von
einer Sekunde auf die andere fand ich mich mit schmerzendem Hinterkopf auf dem
harten Parkett wieder, während Hansen, immer noch mit einem, wenn nun auch kalt
wirkenden, Lächeln auf den Lippen einen weiteren Schritt auf mich zumachte,
mich unsanft an den Schultern packte und in die Höhe zerrte. Dann versetzte er
mir eine schallende Ohrfeige, die meinen Kopf in den Nacken zurückwarf und
bunte Sterne vor meinen Netzhäuten explodieren ließ. Als ich mir mit der
Zungenspitze über die Lippen fuhr, schmeckte ich den kupfernen Geschmack von
Blut.
Neben
uns fuhr Kiro mit einem zornigen Ruck hoch.
»Was
soll der Unsinn!«, herrschte er Hansen an.
Dieser
beachtete den Jungen nicht weiter. Sein Blick hatte sich fest in den meinen
gebohrt, und seine Lippen formten genauso lautlos wie deutlich zwei für mich unmissverständliche
Worte: Wehr dich!
Ich
konnte nicht darauf reagieren. Plötzlich war die Angst wieder da, diese
schreckliche, jeden klaren Gedanken auslöschende Angst, mit der mich jede
Berührung eines Menschen erfüllte. Ich fühlte mich wie gelähmt, unfähig,
irgendwie auf die Geschehnisse zu reagieren. Ein bitterer Geschmack sammelte
sich unter meiner Zunge, der nichts mit meiner aufgeplatzten Unterlippe zu tun
hatte, und eine schleichende Übelkeit kroch meine Kehle empor. Alles, was ich
fühlte, war Furcht. Das schwarze Wesen, das sich wie ein Parasit in meiner
Seele eingenistet hatte, war erneut erwacht, und es kannte keine Gnade.
Als
Hansen einsah, dass ich nicht die Absicht hatte, auf seine stumme Aufforderung
zu reagieren, schrie er sie, brüllte wie von Sinnen und mit wutverzerrtem
Gesicht: » Wehr dich! Worauf wartest du noch, wehr dich endlich! «
Er
packte meine Handgelenke mit eiserner Kraft, riss mich herum und stieß mich von
sich, um mir gleich darauf erneut einen harten Stoß zwischen die
Schulterblätter zu versetzen, der mich haltlos vorwärts taumeln ließ. Ein weiterer,
kaum schmerzender Schlag seiner flachen Hand traf mich im Gesicht, und dann
trat er, trat nach meinem Knie und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Mit
einem kläglichen Wimmern sank ich zu Boden und riss schützend die Arme vors Gesicht.
» Genug! «
Das
Wort dröhnte unglaublich kraftvoll in meinen Ohren wider und klang so
befehlend, dass selbst Hansen, der zu einem weiteren Schlag ausgeholt hatte,
mitten in der Bewegung erstarrte und den Kopf drehte. Auf seinem Gesicht
spiegelte sich leise Überraschung, aber auch etwas, das beinahe wie Erleichterung
wirkte.
Mit
wenigen Schritten hatte Kiro zwischen mir und dem Arzt Aufstellung genommen und
funkelte ihn mit brodelndem Zorn an. »Sind Sie komplett irre? Was ist in Sie
gefahren, Sie Verrückter?«
Hansen
betrachtete den Jungen mit unbewegter Miene, sah dann schweigend auf mich
herab, bedachte Kiro erneut mit einem nicht zu deutenden Blick und streckte mir
schließlich den Arm entgegen, um mir auf die Füße zu helfen.
Ich
zuckte zusammen wie unter einem Hieb und starrte Hansens hilfreich
ausgestreckte Hand an, als handelte es sich um eine Giftschlange. In meiner
Brust hämmerte mein Herz immer noch wie verrückt, und nach wie vor spürte ich
den bitteren Geschmack der Furcht auf meiner Zunge.
»Du
hast dich nicht gewehrt«, sagte Hansen leise und zog die Hand mit einem
betroffenen Gesichtsausdruck wieder zurück, als er begriff, dass ich nicht
danach greifen würde. Dann wandte er sich an Kiro. »Und auch du hast zu Anfang
nicht eingegriffen. Warum nicht? Habe ich euch überrascht? Oder habt ihr es
einfach nicht gewagt, gegen euren offensichtlichen Verbündeten vorzugehen?
Warum hattet ihr Hemmungen – vor allem du, Kiro?«
In
Kiros Augen glomm ein Funke langsam aufkeimenden Begreifens auf und verwandelte
sich innerhalb von Sekundenbruchteilen in Empörung. »Sie … das war … das war
ein Teil der ersten Lektion!«, brachte er hervor. Auf seinem Gesicht lieferten
sich Unglauben und das starke Verlangen, Hansen an die Kehle zu springen, einen
erbitterten Kampf. »Sie … Sie Wahnsinniger haben Laura zu Tode erschreckt, ihre
Gesundheit aufs Spiel gesetzt und wie ein
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