Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
zusammengefasst, zu Absätzen, Sei ten, Kapiteln, bilden sie Knochen, an denen wachsen Muskeln, Sehnen, irgendwann fließt Blut durch die Adern, die Lungen weiten sich, und das Herz eines Buches beginnt zu schlagen. Es wedelt vielleicht nicht mit dem Schwanz, aber wer genau hinhört, kann es atmen hören.
Die Große zu sein heißt nicht, den Abschied, den Tod zu verdrängen. Es heißt, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ihn zu akzeptieren und genau deshalb intensiver zu leben. Davonlaufen kann man vor dem Abschied nicht. Und ignorieren kann man ihn erst recht nicht. Wer es versucht, füttert die Angst in der Ecke, die sich dann zum Gespenst auswächst. Ich will lieber hinschauen: Ja, du bist da. Ich weiß das. Die wahrgenommene Angst, die benannte Angst wächst nicht weiter. Sie bleibt auf ihrem Platz und stört mein Leben nicht, bis eines Tages der Abschied ansteht, doch dann habe ich die Zeit bis dahin nicht mit der Verdrängung dieses Abschieds verbracht, was bedeuten würde, ich hätte ständig in der Angst vor dem Abschied gelebt. Hätte ich dann überhaupt gelebt oder hätte ich nur Angst gehabt?
Die Art des Abschieds bestimmt die Zeit der Trauer, im Abschied werden die Weichen für die Zukunft gestellt.
Als Leander starb, wusste ich nicht, was ich alles hätte tun können. Es war normal, ihn dem Krankenhaus zu überantworten. Er war tot, jetzt waren andere für ihn zuständig. Ich hatte die Berechtigung verloren, ihn zu umsorgen. Das Krankenhaus verwaltete seinen Körper, ich würde mich um die Papiere für die Bestattung kümmern.
Fünf Jahre nach seinem Tod schrieb ich ein Buch über Hospizarbeit und erfuhr, was ich alles hätte tun können. Ich hätte ihm einen letzten Dienst erweisen können: seinen Körper waschen und ankleiden. Ich hätte ihn zu uns nach Hause bringen lassen können und im Kreise seiner Freunde Totenwache halten. Ich hätte seine Lieblingsmusik auflegen können in der Gewissheit, auch wenn der Körper nicht mehr atmet, irgendwo ist die Seele, und die sieht und hört das alles oder empfindet es und ist beruhigt: Ihr schafft das ohne mich. Friedlich kann sie dann umziehen oder eingehen oder sich lösen. So stelle ich mir den auch äußerlich gelungenen Abschied heute vor. Damals hatte ich nur meinen innerlichen. Ich weiß, ich habe alles genauso gut gemacht, wie ich es damals konnte. Ich weiß aber auch, und dafür bin ich unendlich dankbar, dass ich Glück hatte. Hätte ich diese sechzehn Stunden im Krankenhaus nicht erleben dürfen, in denen ich den Rand des Abgrundes umrundete und mich mit dem Gedanken an Leanders Tod vertraut machen konnte, wäre es kein solch sanfter Abschied gewesen, sondern ein Schock.
Manche Menschen finden die Vorstellung makaber, einen Verstorbenen oder Sterbenden aus dem Krankenhaus nach Hause zu holen. Doch fast jeder Mensch wünscht sich, zu Hause zu sterben. Den wenigsten gelingt dies, und wenn, dann sind sie dort oft allein, niemand vermisst sie, bis es zu riechen beginnt durch die Wohnungstür.
Früher war der sterbende und tote Mensch daheim normal. In Büchern aus dem vorigen Jahrtausend habe ich oft gelesen, dass sich Menschen ins Bett legten und verkündeten: Es geht zu Ende, holt die Familie.
Niemand fand das ungewöhnlich. Man benachrichtigte die Angehörigen, die dann um das Bett des Kranken saßen. Zu seinen Lebzeiten noch wurde die Beerdigung geplant, denn auf solche Ankündigungen konnte man sich in der Regel verlassen. Deshalb bekam der Opa auch keinen Kuchen, obwohl es so verlockend in sein Sterbezimmer hineinduftete. »Der ist für deine Beerdigung«, erklärte ihm die Oma.
Und als er tot war, saßen die Angehörigen um sein Bett und hielten Totenwache. Im stummen Zwiegespräch konnte jeder für sich die Beziehung zu dem gestorbenen Menschen klären. Ihm noch etwas mitgeben auf den Weg – und vor allem sich selbst. Ein solcher Abschied reißt keine Löcher in die Seele. Seltsam, dass wir es uns so schwer machen, uns so viel abverlangen in der Verleugnung des natürlichen Laufs des Lebens. Und dabei holen wir uns ständig fremde Leichen in die Wohnung, ein einziger Fernsehabend verwandelt die Landschaft vor der Couch in ein Massengrab. Das echte Leben und Sterben aber fürchten wir.
Als Ghostwriterin oder Koautorin darf ich oft hinter die Ku lissen blicken. Ich habe Bücher für Popstars geschrieben, lernte berühmte Persönlichkeiten kennen und begleitete Men schen mit interessanten Berufen in ihrem Alltag: Polizisten, Feuerwehrleute,
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