Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
Vom Netzwerk:
schnell verstreichen. Weil sie unaushaltbar ist. Weil der Schmerz einen zu zerreißen droht. Weil man doch schon zerrissen ist, in zwei Hälften, in zwei Räumen, weil dieser Riss durch das Leben geht: vorher und danach.
    Ich spürte, wenn ich seinen Tod überleben wollte, dann musste ich eine Brücke aus Buchstaben bauen, die mich von unserem in mein Leben führte. Sonst würde ich abstürzen in die tosende Gischt des Niemandslandes, Niemandsmeeres. So ließ ich meinen geliebten Mann zurück, verließ sein Zimmer, das Krankenhaus, ging allein weiter die ersten Schritte in meinem Leben ohne ihn. Alle, die nun folgen sollten, würde ich ohne ihn tun. Alles, was nun geschah, würde ich nicht mit ihm teilen können. Was für mich in diesem Moment nicht vorstellbar war. So wie mich auch sein Tod noch nicht end gültig erreicht hatte. Es würde Wochen und Monate dauern, immer wieder musste ich es mir selbst vorsagen. Indem ich anderen von seinem Sterben erzählte, wurde es wahrscheinlicher, fast schon wahr, und eines Tages in weiter Zukunft würde ich es verinnerlicht haben, doch niemals vollständig, denn solange ich lebte, solange ich atmete, würde auch er weiteratmen in mir.
    Vor vierundzwanzig Stunden eine glückliche Frau Mitte dreißig, war ich über Nacht zur Witwe geworden. Vor vierundzwanzig Stunden vorfreudig mit Familienplanung beschäftigt, dachte ich nun über die Bestattung meines liebsten Menschen nach. »Bringen Sie uns bis morgen Baumwollkleidung, die wir Ihrem Mann anziehen können.«
    Das alles war zu groß, um es zu begreifen, es war größer als ich, als mein ganzes Leben. Ich musste es in kleine Stücke zerteilen, wenn ich es mir einverleiben wollte, und das war wichtig. Ich musste alles aufnehmen in mich, in mein Leben integrieren, nur so könnte der Riss heilen, das spürte ich intuitiv – wie man manchmal weiß, was gut für einen wäre, und es trotzdem nicht tut, weil es unangenehm ist. Aber ich hatte keine Wahl. Es ging um unsere Vergangenheit und mein Leben. Ich wollte, dass mein Mann sich keine Sorgen um mich machte. Wenn es wahr war, wie ich gelesen hatte, dass die Verstorbenen noch eine Weile in einem Zwischenreich verbringen, ehe sie sich endgültig zurückziehen, sollte er sehen: Sie schafft es. Sie ist stark. Sie kommt ohne mich klar.
    Ja, sagte ich in unsere Wohnung hinein. Deine Liebe hat mich genährt, und ich komme zurecht mit diesem Speckgürtel Proviant. Du bist frei, sagte ich ihm. Ich stellte mir vor, wie das wäre, tot zu sein und zu beobachten, wie die Hinterbliebenen, was für ein seltsames Wort, wo ist hinten und wie sieht das vorne aus, litten. Und nichts tun können. Sie trösten zu wollen, ihnen zurufen wollen: Es ist gar nicht so schlimm, hier ist es schön. Bald sind wir wiedervereint Aber sie so entsetzlich leiden zu sehen, weil sie das nicht wissen, weil sie es nicht hören und ihr Schmerz viel zu laut ist, um zu lauschen.
    Ich litt an dem wildesten Schmerz meines Lebens. Doch es war ein Schmerz, den eine große Liebe verursacht hatte. Ich konnte in unsere Vergangenheit blicken, und was ich dort fand, machte mich dankbar. Und ich blickte in meine Zukunft, und auch dort glomm eine Perspektive. Ich würde mich am Alphabet aus dem Elend ziehen, Buchstabe für Buchstabe.
    Noch am selben Abend, bevor ich das erste Mal in unser Bett schlüpfte, das nun allein meines war, das Bett, in dem ich nie weinen würde, schaltete ich den Computer ein und schrieb auf, was an diesem Tag und in der Nacht zuvor geschehen war. Mit geschlossenen Augen flogen meine Finger über die Tastatur. Das setzte ich fort, Tag für Tag, und so entstand die Stoffsammlung für mein späteres Buch Leben ohne Leander . Indem ich meinen toten Mann in der Literatur lebendig werden ließ, konnte ich seinen Tod allmählich akzeptieren, annehmen und mich zuerst zaghaft, dann immer mutiger und schließlich in tiefer Dankbarkeit neu orientieren und befreien. Und die Voraussetzung schaffen, Johannes zu begegnen.
    Genauso begann dieses Buch. Als die Tierärztin die Lebenserwartung für Luna zwischen zwei Wochen und drei Monaten benannte, wusste ich, dass ich mir zum zweiten Mal in meinem Leben ein Lasso aus Buchstaben zuwerfen musste, um die Große zu bleiben. Nur ein Hund, aber der liebste auf der Welt – meine Seelengefährtin. Ich musste schreiben, um nicht unterzugehen; solange ich schreiben würde, bliebe ich oben, und das war jetzt meine Aufgabe für uns zwei. Buchstaben stärken. Zu Wörtern

Weitere Kostenlose Bücher