Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
sie ist rausgekommen. Aus der Intensivstation, aus dem Wasser, fester Boden unter den Pfoten und ein Fell, das sich hebt und senkt …
Buchstabenbrücke
A tmen. Was das bedeutet, habe ich beim Sterben meines damaligen Mannes begriffen. Als sein Körper sich nicht mehr bewegte. Als es plötzlich still, totenstill war in dem Zimmer voller medizinischer Hightech. Als das Beatmungsgerät abgeschaltet war, kein Alarm mehr ertönte und man mich mit ihm allein ließ. Mit ihm? War das mein über alles geliebter Mann, dieser reglose Körper? Er sah aus wie er, auch wenn seine Lippen schneeweiß leuchteten, und doch war er es nicht. Ich starrte auf seine Brust. Die sich immer, wenn auch zart, manchmal kaum wahrnehmbar, gehoben und gesenkt hatte, das war normal, darauf hatte ich keinen Gedanken verschwendet, das gehörte sich so. Jetzt war dort nichts mehr. Der fehlende Atem verwandelte den Körper vom Menschen in ein Ding … Voraussetzung für Frieden?
Plötzlich war mein Mann nicht mehr lebendig, sondern entseelt. Er hatte vom Menschen zur Sache gewechselt, obwohl ich deutlich spürte, dass er noch da war, aber nicht in dem Körper ohne Atem vor mir, aus dem er sich gelöst hatte; irgendwo im Raum nahm ich ihn wahr.
Seither denke ich anders über das Atmen, das ich bewusst wahrnehmen will, aber es gelingt selten, vielleicht manchmal beim Yoga. Allein atmen zu können ist Grund zur Freude – es bedeutet, am Leben zu sein. Und so schaue ich den schwarzen Hundeleib an, den ich gerne wie ein Grundnahrungsmittel für die Seele schreiben würde: Laib wie Brot. Hebt und senkt er sich, ist alles gut. Was im Übrigen bei einem schwarzen Hund in dunkler Ecke gar nicht so einfach auszumachen ist. Schnaufst du, kleiner Hundling?
Auch mein Mann roch in seinen letzten Stunden chemisch wie Luna nach ihrem Klinikaufenthalt. Dieser fremde Geruch irritierte mich, ich vermutete, er kam von den vielen Medikamenten, die man ihm gespritzt hatte, die Tropfen für Tropfen in ihn flossen, um seinen Kreislauf zu stabilisieren, sein flimmerndes Herz zum Schlagen zu motivieren, ihn dem Tod zu entreißen. Dass es nicht gelang, riss mich in ein Zwischenreich. Ich war am Leben, aber anders. Ich war nicht tot und wollte es auch nicht sein, obwohl ich natürlich mit ihm verbunden bleiben wollte. Zusammengewachsen in all den Jahren. Sein Tod war wie ein Schwerthieb, der mich zerteilte. Ich blutete eine Körperseite lang. Mein Leben stürzte in einen Abgrund im Moment seines Todes. Er riss mich mit, aber ich zerschellte nicht, klammerte mich auf halber Strecke an einen Dornenbusch. Verharrte dort, nicht oben, nicht unten, niemals war Leben so intensiv wie über dem Abgrund. Manchmal ein Quadratzentimeter Fels unter meinen Füßen, schon bröckelte er, kullerten die Kiesel in die Tiefe, taten sich neue Vorsprünge auf und brachen ab, arbeitete ich mich ein Stück nach oben, um erneut zu fallen, hing in der Wand und spürte meinen Atem in jeder Sekunde. Er war es, der mich unterschied, der mich trennte, der mich mit dem Leben verband.
Nie empfand ich mein Dasein lebendiger. Denn es war nicht mehr selbstverständlich. Niemals wieder habe ich eine so intensive Zeit erlebt. Ich blicke gerne zurück, denn es gab ein Happy End für mich. In unsere tiefe Liebe gebettet, spürte ich, er würde mich begleiten und wohlgesinnt auf mich schauen. Weil ich verbunden in Liebe empfand, dass ich nicht allein war, konnte ich diesen unendlich schmerzhaften Abschied Schritt für Schritt annehmen. Es dauerte lang, doch keine Ewigkeit, und ich fand den Weg zurück in mein Leben, ein neues Leben, weil bewussteres Leben. Der Tod meines Mannes veränderte mich stark, dafür bin ich sehr dankbar. Ohne diesen Abschied wäre ich heute eine andere. Ohne Luna wäre ich eine andere.
In der ersten Zeit nach seinem Tod erschien es mir, als wäre die Pforte zu der anderen Welt, die ich nicht Jenseits nennen möchte, plötzlich nicht mehr verschlossen, sondern angelehnt. Von dort drüben wehten Bilder wie Illusionen auf Wasser heran. Ich spürte mit einer nie gekannten Gewissheit, dass das keine Fantasien waren. Dass das wirklich war. Wahrer vielleicht als alles andere, was ich bislang für echt gehalten hatte. Gleichzeitig war ich mir darüber bewusst, dass es jetzt nicht meine Aufgabe war, mich damit auseinanderzusetzen. Ich gehörte auf die andere Seite der Tür in die Realität, die ich mit den hier lebenden Menschen teilte. Dennoch inspirierte diese angelehnte Tür mein Dasein,
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