Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Johannes’ Arme.
In der ersten Zeit mit Johannes führten wir fast eine Beziehung zu dritt, denn ich trauerte noch immer und sprach viel von Leander. Johannes nahm ihn großherzig bei uns auf. Dafür bewunderte ich ihn grenzenlos, denn ich vermutete, ich selbst wäre auf eine tote Frau eifersüchtig gewesen. Ich hätte vielleicht sogar mit ihr konkurriert, niemals hätte ich sie erreichen können in ihrem Status der Unsterblichkeit. Gerade weil Johannes sich Leander gegenüber wertschätzend verhielt, zog er mich immer mehr auf seine Seite, unsere Seite, die Seite des Lebens. Eines Tages sprang ich an seiner Hand an das andere Ufer.
Endlich war es Frühling geworden, wir liefen mit der kleinen Luna über eine Wiese, durch die sich ein schmales Bächlein schlängelte. Johannes und Luna sprangen leichtfüßig darüber, ich wollte ihnen folgen, nahm Anlauf und blieb wie angewurzelt stehen.
»Komm!«, rief Johannes.
Ich nickte. Ich wollte. Aber ich konnte nicht. Es war lächerlich. Der Graben, den ich zu überwinden hatte, betrug keinen Meter. Doch vor meinen Augen verwandelte sich das Rinnsal in einen reißenden Fluss. Johannes und Luna standen am anderen Ufer, wurden immer kleiner, immer breiter das wilde Gewässer. Luna sprang hin und her und hin und her, als wollte sie mir zeigen, wie einfach das sei, blieb neben mir stehen, schaute mich mit schräg geneigtem Kopf an.
»Komm!«, forderte Johannes mich erneut auf.
Ja! Ich wollte! Aber ich konnte nicht. Obwohl ich mir vorsagte, dass der Sprung ein Klacks war. Es war als klebten Bleigewichte an meinen Füßen. Da sprang Johannes zu mir und reichte mir die Hand. Staunend zögerte ich, weil mir eine Me tapher widerfuhr, diesmal erfand ich sie nicht, sie fand mich. Hand in Hand sprangen wir. Am anderen Ufer ließ ich mich ins Gras fallen. Mein Herz schlug, als wäre ich von der Quelle bis zur Mündung des Lebens gerannt. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, meiner Seele, dass etwas Bedeutsames geschehen war, aber ich konnte es nicht in Worte fassen. Tränen stürzten mir in die Augen. Erschrocken rief Johannes: »Hast du dir wehgetan?«
»Nein«, versicherte ich und hätte ihm gerne gesagt, dass zum ersten Mal Blut in das Narbengewebe an der verletzten Stelle meines Herzens geströmt war, das nur an diesem Ufer fließen konnte, dass ich jetzt da war, so wie noch nie, endlich. Luna sprang übermütig immer wieder über das Bächlein. Zärtlich strich Johannes meine Tränen fort. Luna schleckte auch mal schnell. Dann liefen wir gleichzeitig los bis zum Weiher, und für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, mir die Kleider vom Leib zu reißen und hineinzustürzen, doch es war März, wenn auch mit Föhn und einem lauen Frühlingslüfterl. Luna machte das nichts aus. Begeistert stürmte sie ins Wasser. Alle drei waren wir gesund, und das war ein solches Glück, dass ich nicht mehr aufhören wollte zu rennen, bis meine Lungen mich stachen wie der Hafer. Am Leben!
Auch am Schmerz eines vorweggenommenen Abschieds hatte ich vor Kurzem gemerkt, dass ich in meiner Trauer einen großen Fortschritt gemacht hatte:
Auf dem Weg vom Einkaufen nach Hause gab Luna im Auto plötzlich komische Geräusche von sich. Sie klang wie ein achtzigjähriger Greis mit Auswurf. Hatte sie sich verschluckt?
»Was ist mir dir?«, fragte ich besorgt und bekam natürlich keine Antwort. Nur dieses bellende … Husten? Oder war es ein Erstickungsanfall?
Schnell fuhr ich nach Hause. Beim Aussteigen spuckte Luna weißen Schleim aus. Giftköder!? Doch sie lief schwanz wedelnd zum Haus. Ihre Schnauze war kalt, aber sie hustete wie ein Bergwerk voller kettenrauchender Kumpel, hohl, unheimlich und grauenvoll. Eine schreckliche Angst packte mich. Ich schaute auf ihr glänzendes Fell, die putzigen Pfoten. In ihr schon so lieb gewonnenes Gesichtchen. Und war wie gelähmt. Denn es war unausweichlich endgültig. Ich dachte Abschied, Ende, Tod.
So war es damals oft. Kaum kam etwas in die Nähe des Narbengewebes, dachte ich es enger zu mir, ein Krater sog alle Zeichen zu sich und verleibte sich meine zarte Zuversicht zerstörerisch ein. Ich war zu schwach, ihm seine Überlegenheit zu entreißen. Nein, dachte ich, so ist es nicht. Aber er hatte stets die besseren Argumente, und aus der Tiefe höhnte es heraus: Du musst der Wahrheit ins Auge sehen. Du hast gedacht, du wärst in Sicherheit. Glaub nicht, dass du das Schlimmste hinter dir hast. Es kann noch viel schlimmer kommen.
Einmal war ich mit
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