Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
keine Freundin für Luna sein sollte, auch keine Artgenossin, sondern ihre Rudelführerin, sprich Chefin. Das gefiel mir besser als Frauli, und so stellte ich uns auch vor: Das ist die Luna, und ich bin die Chefin, wobei ich, das war mir bewusst, einen Fehler in der Rangfolge beging. Der Chefin-Status ist mir angenehm. Ich weiß meistens, was ich will, und kann andere gut motivieren. Dennoch möchte ich, dass andere meine Beweggründe teilen. Luna aber interessierte sich nicht für meine Beweggründe, was mich faszinierte. Sie nahm hin, was kam. Der Tag begann, wenn ich aufstand. Nie schaute sie mich fragend an: So früh? So spät? Jetzt erst? Jetzt schon?
Wer im Jetzt ist, sucht nicht nach Alternativen, sondern beschäftigt sich mit dem, was jetzt ist.
Jeden Morgen begrüßte sie mich mit der gleichen Begeisterung, egal, wie lang ihre Nacht gedauert hatte. Jeden Morgen lief sie vor oder neben mir die jeweilige Joggingstrecke entlang, egal ob sie eine andere vorgezogen hätte. Bei allem, was wir unternahmen, begleitete sie mich ohne sichtbaren eigenen Willen, ohne mich spüren zu lassen, dass sie etwas nicht mochte. Fast alles, was ich vorschlug, wurde sofort akzeptiert und war meistens sogar toll. Natürlich wollte sie länger spielen, länger schwimmen, mehr zu fressen. Aber nur kurzfristig. Dann vergaß sie es und trieb weiter im Jetzt, blieb nicht an ollen Kamellen kleben. Ihr kam es wahrscheinlich nicht in den Sinn, sich über das Wetter zu beschweren. Mal regnete es, mal schien die Sonne, so ist es, und es ist gut so.
Ich glaube nicht, dass sie sich in ihr Schicksal ergibt, denn das setzt einen Willen zur Veränderung voraus, sie nimmt einfach immer alles an. Wie viel Energie verschwende ich manchmal darauf, etwas zu bedauern, das nicht zu ändern ist. Luna bleibt im Fluss und macht aus allem das Beste. Der Hund fragt sich nicht, warum er seine Mahlzeiten serviert bekommt, statt sie zu erjagen, und warum wir jetzt wohin fahren, was das soll, warum wir heute so spät rausgehen … er macht alles mit, meistens schwanzwedelnd, ohne zu fragen. Luna hängt gedanklich in keiner Schleife fest: Ach, ich hätte viel lieber … oder hängt sich gleich auf mit einer Warum-Frage. Sie ist da, wo sie ist. Und wenn sie mal einen bedrückten Eindruck macht, dann stecke – vorausgesetzt, sie hat keine Schmerzen – höchstwahrscheinlich ich dahinter. Dann bin ich nicht gut drauf. Ich kann sie schnell umstimmen, indem ich selbst fröhlich bin. Was ich zuerst natürlich spielen muss. Aber dann klappt es, und auf einmal habe ich vergessen, dass ich eigentlich schlecht drauf bin.
Mit Anfang zwanzig nahm ich einmal an einem bioenergetischen Workshop teil. Ich war die einzige Anfängerin in der Runde und staunte nicht schlecht, als die Gruppe bei verschiedenen Übungen stöhnte, brüllte, lachte, weinte. Meine Lautlosigkeit fiel auf, das war mir unangenehm. Also stöhnte und brummte ich auch ein bisschen, zuerst leise, dann lauter, stei gerte mich zum Schreien und merkte plötzlich: Jetzt gebe ich es nicht mehr vor, jetzt tue ich nicht mehr so, als ob, jetzt ist es wirklich, es ist echt. Gelegentlich, wenn ich an Anlaufschwierigkeiten leide, tue ich erst mal so, als ob, gebe vor, schon mittendrin zu sein, bis ich es dann wirklich bin. Bei Luna geht so etwas sehr schnell. Da muss ich mich nur einmal bücken, und schon spurtet sie los. Ich könnte beabsichtigen, einen Stock, einen Ball, einen Stein hochzuheben. Mehr braucht es nicht zum Labradorglück. Du wirfst, ich bringe. Am besten im Wasser.
Wenn ich gewusst hätte, wie schön das Leben mit einem Hund ist, dachte ich nun manchmal, hätte ich mir schon frü her einen zugelegt. Zuweilen ärgerte ich mich über diese Verzögerung, wie viele glückliche Jahre hatte ich versäumt, und wenn es mir bewusst wurde, ärgerte ich mich noch mehr. Was für eine Zeitverschwendung, sich über in der Vergangenheit unwiderruflich gefällte Entscheidungen zu grämen. Was mir im Übrigen nicht nur in Bezug auf Luna widerfuhr. So manches Mal bedauerte ich, nicht schon früher ganz auf die freiberufliche Schriftstellerei gesetzt zu haben, anstatt so lange noch als Werbetexterin zu arbeiten. Aber wenn ich mich ertappte, fand ich schnell Gründe, warum alles gut gelaufen war. Denn wenn ich das gemacht hätte und heute viel leicht über hundert anstatt über fünfzig Bücher veröffentlicht hätte, wäre ich dessen womöglich überdrüssig. Und das wäre schrecklich, weil Schreiben glücklich macht.
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