Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
verweist. Hunde vermeiden es, sich in die Augen zu schauen. Da sie wesentlich flexibler sind als wir, haben sie sich angepasst und viele Widerstände überwunden. Luna schaut mir oft in die Augen, besonders, wenn sie etwas will. Sagt Johannes Nein – nicht rausgehen, im Korb bleiben –, schaut sie mich fragend an: Und du? Was meinst du dazu? Erlaubst du es? Darf ich raus? Sagst du Ja?
Ich habe einmal gelesen, dass es ein intelligenter Hund, was seine geistigen Fähigkeiten betrifft, mit einem dreijährigen Kind aufnehmen kann. Und die spielen ihre Eltern zuweilen sehr geschickt gegeneinander aus!
Für eine Städterin ist U -Bahn-Fahren nichts Ungewöhnliches. Mit einem Hund an der Leine wurde es zum Abenteuer. Luna blieb auf der Treppe zum Schacht stehen und starrte mich an. Ich las eine Warnung in ihren Augen: Vorsicht! Wohin willst du? Merkst du denn nicht: Du machst einen Fehler.
»Komm!«, forderte ich sie auf, und sofort gab sie nach. Ich war die Große. Wenn ich in die Hölle fuhr, würde sie mir folgen.
Dunkel wurde es. Die Gruft verschluckte uns. Der Boden war gefährlich glatt. Es war windig und roch modrig. Und es wurde immer lauter. Luna blieb dicht bei mir. Suchte sich ihren Weg an all den Waden, Knien und Schenkeln vorbei. Eine einfahrende Bahn quietschte schrill. »Komm!« Ohne zu zögern, folgte sie mir in das Abteil. Ratternd fielen die Türen zu, der Zug fuhr an. Luna wollte die Mitreisenden begrüßen, wie es ihre Art ist. Servus, ich bin die Luna, und wer bist du und wie geht’s dir? Hast du Lust, mit mir zu spielen, oder hast du zufällig was zum Fressen dabei?
Kreischend fuhr die Bahn durch den Tunnel. Luna schaute mich verunsichert an. Auf einmal nahm ich Eindrücke wahr, denen ich noch nie Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Die Dunkelheit, das Wackeln, die Abgeschlossenheit. Fast war es, als wäre ich durch die Wahl dieses Transportmittels zu einem Gegenstand geworden. Ich wurde von A nach B befördert. Schön war das nicht. Und eigentlich unfassbar: Mein Weg führte durch die Erde. Luna behielt die Tür im Auge. Ich be hielt sie im Auge. Nachdem sie gemerkt hatte, dass das hier eine Weile dauern würde, setzte sie sich und fing an, Fahrgäste anzustarren, bis diese ihren Link bestätigten. Dann wedelte sie ihnen zu. Mit Ausnahme eines zeitunglesenden Mannes knackte sie alle. Durch jeden ihrer Kontakte wurde es mensch licher in der U-Bahn. Als wir am Hauptbahnhof ausstiegen, war sie von drei Menschen gestreichelt worden, man hatte sich freundlich miteinander unterhalten, obwohl man sich nicht kannte, ein Hund verbindet. Luna schämt sich nicht, um Aufmerksamkeit zu bitten. Sie holt sich, was sie braucht, auf dem direkten Weg ohne Strategie, Intrige, Vorspiegelung. Sie hat fast immer Erfolg damit, nun gut, wenn man so aussieht wie sie …
Am Hauptbahnhof und rundherum gab es kein Hundeklo. Nirgends auch nur ein Fitzelchen Rasen, den Luna aber benötigte. Ich würde mir auch komisch vorkommen, den Asphalt in Betracht zu ziehen. Aber wir waren in der Stadt, und da war alles anders als gewohnt, ob in der Innenstadt oder später in Schwabing. Überall dasselbe Bild: ein breiter Gehweg, ein schmaler Radweg und daneben ein Grünstreifen, der mit Eisenhindernissen gegen parkende Autos verbarrikadiert ist. Um dorthin zu gelangen, muss ein Hund den Radweg überqueren, was genauso gefährlich ist, wie auf der Straße zu laufen.
Auf dem Grünstreifen, den wir schließlich fanden, türmten sich die Hinterlassenschaften anderer Hunde. Als Kennerin entlarvte ich die verschiedenen Fütterungsphilosophien und Sünden, ein Haufen sah aus, als hätte dessen Vorbesitzer ein Vogelhäuschen geleert – mit all den Körnern, die in der an und für sich tadellosen Form steckten. Und noch etwas wurde für mich sichtbar: je mehr Hundescheiße auf einem Quadratmeter, desto weiter fortgeschritten die Zivilisation. Für einen Nichthundebesitzer lautet der Satz: je mehr Hundescheiße, desto maroder die Zivilisation. Denn man könnte sie ja wegräumen, nicht wahr? Die Streber machen das natürlich und zahlen brav ihre Hundesteuer.
Mit Luna war ich nur selten in der Stadt unterwegs, denn da gab es nichts für sie, für uns. Ich war nun schon so auf den Hund gekommen, dass sich mein Wohlbefinden an dem meiner vierbeinigen Begleiterin orientierte. Ein Gassi in der Stadt bescherte mir ein schlechtes Gewissen, Luna dominierte mei nen Terminkalender und meine Schlafgewohnheiten. Ich ging nun früh zu Bett und stand morgens
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