Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
wir heute nicht Fuß lernen? Meistens opferte sich dann irgendein Hund mit Helfersyndrom und machte etwas Verbotenes. Sprang an seinem Frauchen hoch oder schnüffelte an Frau Bärmanns Tasche mit den Leckerlis. Alle atmeten auf. Frau Bärmann schimpfte, natürlich das Frauli, nicht den Hund. Ein Hund konnte nie was dafür, immer nur das Frauli, das, weil es nicht hundegerecht kommunizierte, obwohl man genau das fundiert bei Frau Bärmann lernen würde, wenn man nicht dauernd schwätzen würde. Endlich liefen wir alle brav im Fuß.
»Nicht Sie korrigieren Ihre Position! Der Hund korrigiert seine!«, bellte Frau Bärmann.
Meine Freunde konnten nicht genug von meinen Frau-Bär mann-Geschichten hören und schüttelten sich aus vor Lachen. Allein Johannes fand unsere Hundetrainerin nicht komisch, und daran war ich genauso schuld wie an Lunas Fehlern in der Gruppe. Denn so manches Mal hatte ich meine Sätze mit »Frau Bärmann sagt«, »Frau Bärmann meint« begonnen. Darauf reagierte Johannes allergisch. Außerdem fand er es unfassbar, dass ich so viel Geld bezahlte, um so schlecht behandelt zu werden. Das fand ich insgeheim auch. Aber Luna und ich machten große Fortschritte. Als Erste in unserer Gruppe konnte sie alle wichtigen Befehle und zusätzlich einige unwichtige. Beim Abschlusstest – ich muss es wohl kaum erwähnen – erreichten wir die maximale Punktezahl. Der Ruf als Streber eilte uns voraus in die Junghundegruppe. Elvis und einige andere waren durchgefallen und mussten die Wel penschule wiederholen. Dabei folgte Elvis im Prinzip recht gut. Aber er war sehr verspielt, und wenn er Flausen im Kopf hatte, konnte er sich nicht konzentrieren, egal wie bunt und in verschiedenen Größen ausgebreitet die Schachteln waren, in die Bärbel und Babette ihre Wörter liebevoll reihten.
Ich selbst sprach lange nicht so höflich mit Luna. In unserer ersten Zeit sicher ohne Bitte und Danke. Dann fiel mir auf, dass viele Menschen sich Tieren gegenüber sehr freundlich ausdrücken.
Komm mal bitte rein.
Aussteigen, bitte.
Bitte, bring mir den Stock.
So, bitte schön, da ist dein Napf.
Gehörte dieses Bitte in die Abteilung un d ? War es überflüssig oder einfach nur nett oder gar respektvoll, achtsam, wertschätzend? Zeugte es von Kultur und Bildungsbürgertum, humanistischer Tradition und einem erweiterten kategorischen Imperativ? Nicht nur Hundebesitzer sprechen mit Hunden wie mit Menschen. Wir leben in einer Gesellschaft, die vielerorts freundlichen Umgang mit Hunden pflegt, was nicht darüber wegtäuschen soll, dass es Tieren bei uns noch lange nicht so geht, dass wir ein gutes Gewissen gegenüber unseren Mitgeschöpfen haben könnten.
Einmal beim morgendlichen Joggen stand Luna vor einer Garagenausfahrt. Eine Frau wollte mit ihrem Wagen zurückstoßen, Luna blockierte den Weg. »Gehst du bitte ein Stück zur Seite?«, bat sie Luna und lieferte eine Erklärung nach, damit der Hund nicht glaubte, es handle sich bei ihrer Bitte um reine Willkür. »Ich bin nämlich auf dem Weg zur Arbeit und heute schon ein wenig spät dran.« Sie wies zudem auf die Dringlichkeit ihres Ansuchens hin. »Und dazu muss ich aus der Garage raus«, erklärte sie Luna den kausalen Zusammenhang und bot ihr im Konjunktiv die Wahl eines menschenfreundlichen Verhaltens an: »Das wäre lieb von dir.«
Die Frau kannte uns nicht. Sie machte nicht den Eindruck, Angst vor Hunden zu haben, sich die Bestie taktisch klug wohlgesinnt zu stimmen. Sie hätte sich auch an mich, die Vorgesetzte, wenden können:
»Passen Sie bitte mal auf Ihren Hund auf.«
Doch sie schien Luna als Individuum wahrzunehmen, das seine Entscheidungen abwägt und für seine Handlungen Verantwortung übernimmt.
Sie hätte auch ganz allgemein kundtun können: Achtung, ich muss raus.
Sie hätte das Auto hupen lassen können.
Sie hätte mit ihrer Stimme hupen können: Nehmen Sie den Köter weg, sonst mach ich ihn platt.
Das sind drei Äußerungen, die dasselbe Ziel haben? Nein, es sind drei Lebensauffassungen. In seiner Sprache zeigt sich der Mensch nackt, mit der Sprache öffnen wir ein Fenster in unsere Gedanken.
Babette und Bärbel behaupteten, ihr Hund Elvis würde das, worum sie ihn baten, nur tun, weil sie ihm stets die Wahl ließen, auch etwas anderes zu tun. Ich glaube, dass Hunde oft lieber keine Wahl haben, was in der ersten Zeit mit Luna schwierig für mich war, weil ich selber gerne immer mindestens eine Alternative habe.
Bei Frau Bärmann lernte ich, dass ich
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