Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Blindes Verständnis. Tiefe Freundschaft. Wir.
Meine Beziehung zu ihr wurde noch inniger, als ich eines Tages die Idee hatte – oder hatte sie mir die eingeflüstert –, einen Hundekrimi zu schreiben mit dem vierpfotigen schwarzen Riesen Flipper mit einem blauen und einem braunen Auge, ein Nachfahre Lassies sozusagen. Mein Freund ist Flipper, Flipper, gleich wird er kommen, jeder kennt ihn, den klugen Delfin. Wenn Luna mit Anlauf vom Steg drei, vier Meter in den See springt, sieht sie aus wie ein Flipper mit Fell. Mein Flipper ist ein Rüde, ein Krimi benötigt Testosteron, seine Chefin heißt Franza und arbeitet als Fitness- und Kampfsporttrainerin. Beim Spazierengehen findet Flipper eine Leiche, was Franza nicht besonders überrascht. Sie ist der Meinung: Wer einen Hund hält, muss mit einer Leiche rechnen. Allerdings hätte sie sich einen souveräneren Umgang mit dem flaschengrün schimmernden Toten gewünscht. Ich staunte über diese Person, die sich frech in meinem Leben ausbreitete und genau wusste, wohin sie wollte. Ich konnte ihr nur noch nachhecheln. Sehr schnell wurden Franza und Flipper für mich lebendig, zu ihnen gesellte sich Kriminalhauptkommissar Felix Tixel. Auf langen Gassis erzählte ich Luna, wie die Geschichte weitergehen würde – oder erzählte sie es mir? Die besten Ideen hatte ich, wenn es mir gelang, nicht an das Buch zu denken, Luna beim Buddeln zuzusehen, hin und wieder einen Stock, einen Ball zu werfen oder mit ihr um die Wette zu schwimmen. Und ohne dass ich daran gedacht hätte, blinkte plötzlich ein Einfall auf. Immer wieder staunte ich über die innere Logik des Buches, das längst existierte. Meine Aufgabe beim Schreiben ist es, leer zu sein, um zu empfangen. Dabei hilft mir Luna: In der Leere wächst die Fülle. Ich bin der Meinung, alle Bücher sind schon da, wie ungeborene Wesen schweben sie irgendwo, warum nicht in einer Wolke? Je freier ich mich von Vorstellungen mache, wie etwas sein soll, desto besser kann ich einer Geschichte folgen. Das ist besonders wichtig, wenn ich als Ghostwriterin tätig bin. Ich versuche, mein Gegenüber nicht von außen zu sehen und zu beurteilen, sondern er oder sie zu sein. Und dann schaue ich aus ihm heraus in die Welt. Wenn ich erst mal drin bin, tappe ich nicht in die Falle, etwas aus meinem Leben unterzumischen, da ich ja nicht mehr da bin. Am schönsten ist es, wenn ich mich komplett aufgelöst habe, wenn ich weg bin. Dann bin ich glücklich, wobei ich mich gerade frage, wer oder was dann glücklich ist.
Im echten Leben darf Luna immer Luna bleiben, sie muss keine Kunststücke können wie Flipper oder gar der Fährte von Mördern folgen. Als meine Muse leistet sie genug, seit einigen Monaten führt sie sogar ihren eigenen Blog, sprich, sie diktiert ihn mir wie so vieles in unserer Zweisamkeit. Durch Flipper wuchsen wir noch enger zusammen, denn in ihm ver band ich zwei Lieben. Die zum Hund und die zum Schreiben. Und wenn ich mal ganz viel Zeit hätte und mir überlegen würde, wo ich ohne Luna gelandet wäre, wäre das bestimmt nicht so schön, wie es jetzt mit ihr ist. Mit Luna bin ich angekommen, auch weil ich immer rausmuss, und es ist sehr leicht, in der Natur zu sich selbst und darüber hinaus zu finden. Egal, was kommt. Wir zwei haben viel Proviant gesammelt auf unseren Gassis. Davon kann ich lange zehren. Und sie? Ich stelle mir vor, wenn man im Jetzt ist, braucht man keinen Proviant, dann hat man immer genug. Denn was gibt es Berauschenderes als den Augenblick?
Die Witterung der Welt
E ine indianische Weisheit besagt: »Urteile nie über jemanden, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist.« Wie gerne wäre ich in den Mokassins meines Mondes Luna unterwegs gewesen! Was mir bei meinen Ghostwritings leichtfiel, stieß beim Versuch, in den Hund zu schlüpfen, auf anatomische Schwierigkeiten, denn ich kann mir die Witterung der Welt nicht vorstellen. Sollte mir die berühmte Fee einen Wunsch gewähren, werde ich bitten, einen Tag lang Luna sein zu dürfen.
Hin und wieder versuchte ich, meine Umgebung durch Hundeaugen zu betrachten, eine Leistung, die Luna im übertragenen Sinn meisterlich beherrscht. Tag für Tag passt sie sich den furchteinflößenden Gewohnheiten der Zweibeiner an, die sich benehmen wie hoch aggressive Rüpel und das nicht einmal merken. Sie blecken die Zähne, wenn sie friedlich gestimmt sind, dabei weiß doch jeder Hund, dass man die Zähne bleckt, wenn man andere in ihre Schranken
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