Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Entweder ich konnte ihn von der Richtigkeit meiner Argumente überzeugen oder er mich von seinen. Oder ich würde die Dinge, die er irgendwohin legte, dorthin legen, wo ich glaube, dass sie hingehörten. Oder ich würde alles ein wenig lockerer sehen. Warum musste die Schere in der Schub lade, sie konnte ebenso gut auf dem Buffet liegen? Leicht hätte ich Argumente finden können. Man könnte sich verletzen, die Schere könnte rosten, einstauben. Aber mit solchen besserwisserischen Behauptungen hätte ich bloß Zuflucht gesucht bei Allgemeinplätzen. Ich wollte Leander überzeugen. Was mir nicht gelang, wohl aber gelang es mir manchmal, sein Verhalten zu verändern, leider brauchte ich Jahre, bis ich den Zaubersatz entdeckte: »Ich fühle mich nicht wohl, wenn die Schere dort liegt.«
Leander räumte sie sofort in die Schublade. Er war spirituell viel weiter als ich, konnte unabhängig vom Aufenthaltsort der Schere in seiner inneren Balance bleiben.
Als er tot war, wünschte ich mir, er hätte mehr irgendwo liegen lassen. Denn alles, was er nicht aufgeräumt hatte, wie ich es mir wünschte, zeugte von seiner Persönlichkeit, dass er da war, dass es ihn gegeben hatte, und in den Dingen lebte er weiter. Als er weg war, bedeutete mir jedes Bonbonpapier, jede Tankquittung in einer Jackentasche ein Lebenszeichen. Wann hat er dieses Bonbon gegessen und wo hat er es hergehabt? Hat er es geschenkt bekommen und von wem? Vielleicht in einer Apotheke. Was hat er da gekauft und wann könnte das gewesen sein? … Und die Tankquittung, ach ja, da ist er nach München gefahren … Es war, als würde ich von jenen Zeiten zehren, über die ich wenig wusste. Als er noch lebte und seine eigenen Wege ging, Seelennahrung für mich. In den Dingen lebte Leander ein kleines bisschen weiter, denn die Dinge verbanden sich mit meinem Bild von ihm, und ich atmete für uns beide.
Eine meiner allein lebenden Freundinnen fragte mich einmal halb im Scherz nach dem Rezept für eine glückliche Beziehung. In ihren Augen las ich die andere Hälfte. »Den anderen so lassen, wie er ist«, wiederholte ich einen Kalenderspruch, weil ich nicht an Rezepte glaube. Aber ich achtete auf Kleinigkeiten, die ich früher als gegeben hingenommen hatte, und indem ich sie wahrnahm, wurden sie groß. Johannes atmen hören. Sein Herz schlagen hören. Mit ihm am Tisch essen. Dass er da ist. Dass er die Cremedose nicht zuschraubt. Dass er manchmal, wenn er die Tür aufsperrt, pfeift. Ich kann pfeifen nicht ausstehen und verrate es ihm nie, weil es zu ihm gehört. Johannes kommt heim! Luna und ich laufen ihm entgegen. Keine Selbstverständlichkeit. Ein kostbares, zerbrechliches Ge schenk. Wenn ich könnte, ich würde mir einen Wolf wedeln.
Seit dem Schlangenbiss und Lunas Genesung zogen wir wieder zu dritt los, wie damals, als sie ein Welpe und neu in unserem Leben war. Es war nicht selbstverständlich, mit Luna Gassi zu gehen, es war ein Geschenk. Alle drei am Leben. Woran wir in Lunas Welpenzeit gar nicht gedacht hatten, da war das normal, obwohl uns Frau Bärmann immer wieder warnte. Ein Vizsla aus unserer Welpengruppe hatte die Herzmedikamente der Oma gefressen und war daran fast gestorben. Bei einem anderen hatten sich Knochensplitter durch den Darm gebohrt, Notoperation. Eine Hündin aus dem Junghundekurs wurde vergiftet, dass sie Luna hieß, erschreckte mich, gerade so als wäre meine Luna in Gefahr gewesen.
Als Luna und ich zwei Kurse unter Frau Bärmanns Fittiche absolviert hatten, verabschiedete ich mich. Luna konnte alle wichtigen Befehle und viele weitere, wir mussten oft warten, weil andere Hunde nicht so lerneifrig waren wie sie. Frau Bärmann riet mir zu Hundesport, Dummytraining oder Agility, da Luna gefordert werden müsse. An einem Wochenende schauten Johannes und ich bei einer Agility-Vorführung zu und waren begeistert von der Geschicklichkeit der Hunde und ihrer Ver bindung zu ihren Zweibeinern. Das wollten wir auch mal aus probieren, und ich wurde als Späherin unseres Rudels vorausgeschickt.
Wir barfen
D er Leiter der Hundesportgruppe, bei dem ich an einem strahlenden Herbstnachmittag, leichter Dunst lag über den Wiesen, vorstellig wurde, war Luna sofort sympathisch und mir somit auch. Zirka zehn Hunde mit ihren Besitzern, darunter auch Kinder, trainierten auf dem Gelände, liefen neben ihren Hunden her und sprangen mit ihnen über die Hindernisse. »Das ist der Unterschied zum Agility«, erfuhr ich. »Bei uns absolvieren Hund und Herr, äh,
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