Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Frau, den Parcours zusammen.«
Das gefiel mir.
»Ihr Hund sollte in seinem Alter nicht zu viel springen, nur ganz kleine Hürden, denn …« Verblüfft schauten wir Luna nach, die sich hoch motiviert verselbständigt hatte und das machte, was die anderen machten. Ohne Kommando, einfach so aus freien Stücken, absolvierte sie mal eben den Parcours für die großen Hunde, überflog die Hindernisse wie ein Springpferd, raste begeistert durch die Ringelröhre, nahm sogar den Schwebebalken mit Eleganz.
»Ein Naturtalent!«, rief der Mann.
Das hörte ich natürlich gerne und sagte zu, mit Luna wiederzukommen, denn: »So eine Begabung müssen Sie fördern. Sie haben ja selbst gesehen, wie viel Freude Ihr Hund hier hat.«
»Luna hat überall Freude«, meinte Johannes trocken, doch wir wollten der Karriere unseres Kindes light nicht im Wege stehen und sagten die üblichen Elternsätze: »Solange es ihr Spaß macht.«
Mit großem Eifer war sie dabei, und ich auch, doch nach fünf Terminen hatte ich keine Lust mehr, was nicht am Training, sondern dem anschließenden geselligen Beisammensein lag, das ich als Dressur empfand. Schon während des Trainings freuten sich viele auf den angenehmen Teil in der Vereinshütte, einem Blockhäuschen auf dem Gelände. Wichtig hier: Kühlschrank für die Herren (Bier), Kaffeemaschine für die Damen. Und natürlich der Fernseher, mit dem man sich Veranstaltungen der Konkurrenz anschaute. Es wurden Vorträge zur richtigen Ernährung des Hundes angeboten, man unterhielt sich über die Qualität von Leinen, Pfotenschonern, Transportboxen und Kotbeuteln sowie abwesende Mitglieder. Außerdem wurden die bevorstehenden Fahrten zu Wettkämpfen besprochen.
Mein Bruder war in seiner Jugend ein starker Schwimmer und verbrachte viele seiner Wochenenden in dampfigen, chlorgeruchgetränkten Hallen, in denen prinzipiell nur gebrüllt wurde, alle schrien immer und gleichzeitig, meine Eltern oder wenigstens ein Elternteil am Beckenrand, feuerten an. Je näher sich mein Bruder an die Spitze kämpfte, desto wei ter die Fahrten im Bus, Wochenende für Wochenende, Trai ningslager, Wettkämpfe, Freundschaftsschwimmen. Und meine Eltern im Ehrenamt.
Für Schriftstellerinnen gibt es in Vereinen immer ein Ehrenamt. Mal eben schnell einen Flyer texten. Mal den Internetauftritt auf Rechtschreibfehler lesen. Mal eine schöne Überschrift für das Plakat. Das alles hätte ich gerne gemacht. Aber bitte kein geselliges Beisammensein im Clubhaus mit Bier und Kotbeuteln. Agility klang irgendwie eleganter. Ich meldete Luna und mich zu einer Probestunde an. Kaum hatten wir den gepflegten Rasen des Übungsplatzes betreten, musste sie mal.
Da schoss eine Frau um die Ecke. »Nein! Hier wird nicht gepinkelt! Das ist ver-bo-ten!« Dann rannte sie mit einer Gießkanne zu dem Schandfleck und goss ihn.
»Wie sollen die Rüden denn da Leistung zeigen, wenn sie solche Duftmarken setzt?«
Ich streckte die Hand aus und stellte mich vor. Da kam der Platzwart, weiblich wie die meisten hier, und freundlich. Sie zeigte mir die Hindernisse, ich musste Luna an der Leine führen und sprach über das Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier, die Bindung, das gemeinsame Erlebnis gemeisterter Aufgaben. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich eine dicke Frau mit einem Schäferhund. Sie legte ihn vor ein Steildach ins Platz, ging um die Wand herum, erklomm sie von hinten und hing dann mit Händen und Kopf oben am Dach. Ihr Gesicht leuchtete ampelrot, sie schüttelte den Kopf, um den Hund auf sich aufmerksam zu machen, und dabei hing ihr die Zunge weit aus dem Mund. Sie schien sich sehr angestrengt zu haben. Nein, es war keine Zunge, es war ein Fetzen rohes Fleisch. Nein, sie hatte ihn sich nicht aus der Backe gebissen, das war offenbar die hier gültige Währung.
Der Schäferhund jaulte, dann kletterte er nach oben und riss der Frau das rohe Fleisch aus dem … Maul? Entgeistert starrte ich zu der Steilwand.
»Wir barfen hier alle«, sagte der Platzwart freundlich.
»Äh, ja?« Barfen! Aha. Nein, das würde ich nie, nie, nie tun! Barfuß über rohes Fleisch. Ohne mich.
Mein Gesichtsausdruck verriet, dass ich keine Ahnung hatte.
»Artgerechte Hundenahrung«, fügte die Frau hinzu und lud mich zu einer Platzbesichtigung ein. Molly, ein Golden Retriever, verweigerte ein Hindernis. Sein Frauchen machte ihm deutlich, was er damit anrichtete: »Willst du denn, dass ich traurig bin? Willst du das wirklich?«
Molly ließ die Ohren hängen.
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