Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
überall verboten. Manchmal glaubten wir, wir wür den nie etwas finden, und trösteten uns: Es ist doch auch schön, wie es ist. Zur Not würden wir Luna die Treppe hochtragen. Nie würden wir sie zur Scheidungswaisen machen, wie sie die Tierheime bevölkern, und keinen Anwalt wegen des Besuchsrechtes bemühen. Da das Tier eine Sache ist, gehört sie dem, der sie erworben hat. Trotzdem hat die Sache einen Pass, vorne drauf prangen die vereinigten Sterne Europas. Jedes Mal, wenn ich dieses Dokument zur Hand nehme, staune ich. Dass ein Hund bei uns einen Reisepass hat, dass er auf einer Intensivstation behandelt wird. Ihre neue Wohnhaft musste ich nicht eintragen lassen.
Nach einem Jahr Suche ging alles ganz schnell. Meine beste Freundin erfuhr über einen Arbeitskollegen von seiner Schwes ter, deren Osteopathin eine Patientin mit tierlieben Vermietern hatte, die aus ihrem Haus mit Garten in ruhiger Lage auszuziehen beabsichtigte. Der Rest war nur noch eine Formsache.
Während ich selbst meinem schönen Hexenhäuschen noch eine Weile nachtrauerte, obwohl ich nicht mehr dorthin zurückwollte, schien Luna es schlichtweg vergessen zu haben, wie ich bei einem Besuch in meinem alten Dorf feststellte. Warum war das Haus von ihrer Karte gelöscht? Weil dort kein Napf mehr stand? Weil ihr Korb sich woanders befand? Roch es nicht mehr nach ihr? Ich konnte die alte Heimat nicht so schnell löschen. Manchmal stellte ich mir Details aus dem Hexenhäuschen vor. Vom vielen Putzen, ich nenne das meditativ – indem ich die Spiegel poliere, verschaffe ich mir eine klare Sicht auf den Fortgang der Geschichte, die ich gerade schreibe –, kannte ich jeden Winkel, jede Ecke. In Gedanken ging ich durch die Räume, wo sich nach wie vor meine Möbel befanden. Ich wollte nicht wissen, wie die neuen Mieter sich eingerichtet hatten, in meiner Sehnsucht nach diesem Haus, in das ich nicht zurüc k wollte, denn es war wunderbar, mit Johannes zusammenzuwohnen. Aber es schmerzte, weil diese Zeit vorüber war. Um sie der Vergangenheit zu entreißen, holte ich sie immer wieder in die Gegenwart. Bis Gras darüber wuchs und ich andere Dinge in die Gegenwart holte. Zum Beispiel die aufregende Zeit des Umzugs, nach der ich mich zu sehnen begann, als alles eingerichtet war.
Wir wussten anfangs nicht, ob das Haus groß genug oder vielleicht sogar zu groß wäre, wir besaßen vieles doppelt, Fernseher, Waschmaschine, Küchengeräte. Schließlich stellte sich heraus, dass es genau die richtige Größe und dicke Wände hatte: Wenn Johannes oben Saxofon übte, hörte ich das unten kaum. Hin und wieder neckten wir uns, dass wir nun für im mer zusammenbleiben müssten, um einen Umzug, vor dem uns graute, zu vermeiden. Aus den geplanten zwei Wochen waren letztlich vier Wochen im Chaos geworden, da sich bei der Renovierung des Hauses viele Baustellen ergaben. Beim Entfernen einer alten Holzdecke im Wohnzimmer kam uns der Blafon entgegen, Löcher zu bohren führte bei diesen kreuz und quer verlegten Leitungen mehrfach zu Kurzschlüssen. So lernten wir unser neues Zuhause auch hinter den Kulissen kennen. Als handwerkliche Analphabetin rührte mich Johannes’ Geduld mit meinen zahlreichen Missgeschicken. Kaum wollte ich mich nützlich machen, wurde alles nur noch schlimmer. Ich sollte eine Tür abschleifen, sie rutschte von den Böcken, ein Fall für den Glaser. Ich sollte Regalbretter anschrauben, das Regal stürzte ein. Ich trug einen Karton mit Honiggläsern in den Keller, er brach durch, das Garagentor riss ich beim Öffnen aus der Verankerung. Wir fluchten und lachten viel, wenn auch manchmal am Rand der Hysterie. Eines Tages waren alle Kisten ausgepackt, und der Alltag wurde nicht grau, sondern bunter zu zweit. Und immer wieder zwischendurch konnte ich mein Glück kaum fassen. Dass ich noch einmal Nest bauen durfte! Dass ich nach der schweren schwarzen Zeit noch einmal eine so tiefe Begegnung mit einem Mann erleben durfte. Dass das kein Kompromiss war, sondern harmonisch wie mit Leander, wenn auch ganz anders, denn Leander und Johannes sind sehr verschieden. Mit Leander stritt ich öfter um die Ordnung. Ich wollte, dass die Dinge an den Plätzen lagen, die ich für sie ausgesucht hatte. Leander schmunzelte und fragte »Warum?«
»Weil sie da hingehören.«
»Wer sagt das?«
»Ich.«
»Und wenn ich anderer Meinung bin?«
Damit hatte er natürlich recht. Wir wohnten zusammen, er hatte ein fünfzigprozentiges Stimmrecht. Also gab es vier Möglichkeiten.
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