Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
doch das letzte Mal mit Luna im Wasser!«
»Woher weißt du das?«, fragt er, und dann wirft er. Für uns beide.
Herbst
D er Föhn beschert uns einen Herbst wie Spätsommer. Das Leben geht weiter wie vor dem Schlangebiss, ich habe ein neues Buch begonnen, alles ist normal. Luna neben dem Schreibtisch hört sich meine Monologe über Struktur und Kapitelaufbau an und gähnt zwischendurch kräftig. Sobald ich mich festdenke, wird sie unruhig. Das macht mich unruhig. Luna wedelt versuchsweise: rausgehen? Ich lehne ab. Ich bin die Chefin. Der Urlaub ist vorbei, und im Alltag bestimme ich, wann wir rausgehen. Ohne Hund wäre ich viel effizienter, vermute ich, wie so oft. Eine Stunde später ziehen wir los, die Jacke lasse ich zu Hause. Wenn jetzt Frühling wäre, denke ich ein wenig sehnsüchtig und rufe mich dann zur Ordnung, nein zur Unordnung. Wollte ich mich nicht an dem freuen, was ist? Ganz im Sinne Karl Valentins: »Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.«
Wir laufen durch einen bunten Buchenwald an einem Bächlein entlang. Wie kleine Seiten von Notizheften fallen hin und wieder Blätter zu Boden. Auf einmal, während ich Luna beim Schnuppern zusehe, segelt mir die vorhin so krampfhaft gesuchte Struktur als Blatt in Herzform vor die Füße. Ich zucke zusammen. Dann hebe ich den Geistesblitz auf. Luna dreht sich zu mir. Sie sieht aus, als würde sie grinsen. Wenn man nicht damit rechnet, findet man, was man sucht. Und manchmal findet man etwas, was man gar nicht gesucht hat.
Mein Handy klingelt. Ich will den Anruf wegdrücken, da sehe ich, es ist die Tierhomöopathin. Vor drei Tagen hat Frau Hölzel Luna Blut abgezapft, was sich schwierig gestaltete, da die Venen »wegrollten«, was auch immer das bedeuten mag. Ich spüre mein Herz im Hals. Jetzt gleich werde ich erfahren, wie es um Luna steht. So, wie sie aussieht – gesund?
»Lunas Werte befinden sich alle im Normalbereich!« Frau Hölzel schreit es mir ins Ohr.
»Normal?«, brülle ich zurück.
»Ja, normal«, bestätigt Frau Hölzel. »Das heißt zwar nicht, dass sie keinen Milztumor hat, aber zumindest ist er nicht gewachsen. Ich schlage vor, dass wir die Misteltherapie fortset zen. Ich habe mit der Laborärztin gesprochen. Auch sie meint, dass der Verdacht auf Milztumor dem Schlangenbiss geschuldet sein könnte. So etwas kommt öfter vor. Wenn Sie Gewissheit haben wollen, müssen Sie noch einmal einen Ultraschall machen lassen.«
»Bestimmt nicht!«, rufe ich, denn mit dem unseligen Ultraschall fing ja alles an, nachdem ich geglaubt hatte, wir hätten das Schlimmste überstanden. Dann bedanke ich mich mehrmals hintereinander, als hätte Frau Hölzel eigenhändig Lunas Blut gewaschen – nun, das hat sie ja auch ein bisschen mit ihrer Therapie. Als ich den roten Knopf am Handy gedrückt habe, überkommt mich das mächtige Bedürfnis, mich zu bedanken. Ich weiß bloß nicht, wo. Bei wem? Ich schaue in den Himmel, ein paar weiße Wattebällchen fahren träge Richtung Westen, ich schaue die hohen Buchen entlang und auf das kupferrote Laub im Moos … und Luna. Meine Luna. »Danke, dass du noch da bist. Danke, du Kämpferin!« Ich renne auf sie zu, als wollte ich sie fangen, sie springt begeistert an mir hoch und galoppiert dann los, ich jage ihr nach, streife Büsche und Bäume mit meinen Handflächen und sage überallhin danke. In diesem Moment weiß ich, dass eine tiefe Dankbarkeit mich begleiten wird für immer. Auch, wenn Luna einmal fort ist. Ich werde dankbar sein, weil ich sie nicht verlor über Nacht, dankbar für die Zeit nach dem Schlangenbiss und für die davor sowieso. Nächste Woche wird sie zwölf. Ich zweifle keine Sekunde mehr daran, dass wir das erleben dürfen.
Auch meine Eltern freuen sich sehr über die gute Nachricht. Besonders meiner Mutter ist Luna ans Herz gewachsen. Sie liebt es, mit Luna einkaufen zu gehen, und beobachtet vom Geschäft aus, wie brav Luna davor sitzen bleibt. Lunas Schnauze ist weiß, meine Eltern sind alt. Luna passt sich ihnen an und trottet nebenher. Das Bild rührt mich. Obwohl mein Vater sie wegen seiner Allergie nicht anfassen soll, klopft er ihr auf die Flanken, danach muss er oft weinen. Am liebsten gibt er ihr Leckerlis. Nicht drei oder fünf, sondern alle auf einmal, und sie muss nichts dafür tun. Kein Sitz, kein Gimmie-five. Opa ist spendabel. Im Sommer schleppt Luna den Gartenschlauch an, damit er mit ihr Nassspritzen spielt. Davon kann sie nicht genug
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