Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Grundstück, eine Frau ruft den Hund, er kehrt um und läuft zu ihr. Gott sei Dank, es gibt Leute, die sich um ihn kümmern. Aber was war an all den Tagen zuvor? Der Hund lebt in Isolationshaft, mutmaße ich angesichts des Riesennapfes Trockenfutter, der neben einer Wanne mit Regenwasser steht.
Stunden später auf dem Rückweg, das Auto ist fort, der Hund sitzt wie immer allein hinter dem Gitter, rede ich freundlich mit ihm. Er spitzt die Ohren. Braune Augen schauen mich aus einem schön geschnittenen Gesicht an. Den müssten wir mitnehmen, schießt es mir durch den Kopf. Meine Freundin Eva hat auf Kreta einen Hund von der Kette gerettet, die Kette hatte sich schon tief in Philis Hals gegraben. Frau Bärmann unterrichtete zwei Schüler aus einer rumänischen Tötungsstation. Südländer hatten wir auch. Ich hege große Achtung für Tierfreunde, die sich auf das Risiko eines ehemaligen Straßen hundes einlassen. Phili büxte ständig aus, Lucy war das Jagen nicht abzugewöhnen, Momo wollte nicht allein zu Hause bleiben, und wenn man sie dazu zwang, rächte sie sich mit grauenvollem Jaulen und Verwüstungen. Was mich schnell ungeduldig und vielleicht auch ungerecht gemacht hätte, warf die Freunde dieser Hunde mit Migrationshintergrund nicht aus der Bahn: Sicher, zu Beginn ist es anstrengend mit einem solchen Hund, aber wenn er nach und nach Vertrauen fasst, wird man reich belohnt, und die Bindung ist umso tie fer.
Christophs und Andreas Hündin Hella starb innerhalb von drei Wochen an einem Lebertumor. Als er entdeckt wurde, konnte Hella nicht mehr geholfen werden. Der Tumor musste über Wochen und Monate gewuchert sein, Christoph und Andrea hatten nichts gemerkt. Kurz vor der Diagnose hatten sie beschlossen, das Futter zu reduzieren, da Hella ein Bäuchlein bekam. Sie ahnten nicht, dass sich die monströs vergrößerte Leber hervorwölbte. Hellas Fell war stumpf, und wenn man sie streichelte, ging es büschelweise aus. Christoph und Andrea glaubten, das sei dem im Frühling normalen Fellwechsel geschuldet. Erst als Hella mehrmals nach dem Fressen erbrach, gingen sie zum Tierarzt, erfuhren die Wahrheit, holten eine zweite und eine dritte Meinung ein.
»Wenn ich wüsste, dass man Hellas Leben verlängern kann«, vertraute Christoph mir verzweifelt an. »Sagen wir um sechs Monate. Dafür würde ich kämpfen.«
Ich staunte. Sechs Monate! Was war das schon! Andererseits war Hella erst sechs Jahre alt. Sie nahm ihm die Entscheidung ab, drei Wochen nach dem Befund ging es ihr so schlecht, dass sie eingeschläfert werden musste. Christoph und Andrea ließen Hella einäschern, sie war zu groß, um sie im Garten zu begraben, und das ist ja auch verboten. Ein bisschen verlegen erzählte Christoph mir von der Trauerfeier. »Das ist schon kurios, oder? Eine Trauerfeier mit Urnenbeisetzung für einen Hund.«
»Nein, nicht kurios«, erwiderte ich. »Das ist Liebe.«
Christoph und Andrea, deren Kinder seit zwei Jahren aus dem Haus waren, hielten ein Jahr Hundepause für angemessen. Doch schon nach zwei Monaten klapperten sie die Tierheime in der Region ab. Sie versicherten sich gegenseitig, dass sie jetzt bestimmt keinen Hund wollten, nur mal gucken. Eines Tages verliebte sich Christoph in eine einjährige schüchterne Hündin aus Griechenland. Andrea war zuerst dagegen. Doch als die Griechin auf ihrem Schoß saß und ihr über die Backe leckte, da war es auch um sie geschehen. Sie nahmen die Griechin, die lange keinen anderen Namen hatte, mit nach Hause – und alles war anders als erhofft. Der Hund traute sich nicht, über die weißen Bodenfliesen zu laufen, die Treppe verweigerte er, hochheben ließ er sich nicht, das Futter ver trug er nicht, und sobald er durch die Fenster einen Vogel oder ein Eichhörnchen sah, bellte er wie verrückt.
Christoph und Andrea bewahrten die Ruhe. Geduldig versuchten sie herauszubekommen, worauf die Griechin wie reagierte, und puzzelten ihre Vergangenheit zusammen, um eine gemeinsame glückliche Gegenwart zu gestalten. Als wir das erste Mal mit der Griechin und Luna Gassi gingen, kläffte sie ohne Unterlass, sobald Luna sich Christoph näherte, griff sie zum Schein sogar an. Das nervte mich, obwohl Luna die Kapriolen nicht ernst nahm. Da sagte Christoph: »Sie hat Angst, mich und ihren Platz zu verlieren. Deshalb verteidigt sie mich gegen Luna.« Und später sagte er: »Einmal hat sie schon Sitz gemacht.«
Das rührte mich. Ich betrachtete die Griechin mit anderen Augen und sah keinen
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