Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
bekommen. Mein Vater ist immer zuerst müde. Ein Tag, an dem Luna nicht mindestens einmal nass geworden ist, zählt bei ihr vielleicht als verloren. Regen gilt nicht. Regen ist eine Zumutung. Da bleibt man lieber im Haus. So wie nun auch mein Vater immer öfter im Haus bleibt. »Allein spazieren gehen macht keinen Spaß«, sagt meine Mutter und fordert Luna an. Ich fahre sie zu ihr wie ein Enkelkind und gehe zum Yoga, während meine Mutter mit Luna einkauft. Danach erzählt sie mir stolz, wie gut Luna mitgelaufen ist, wie brav sie gewartet hat und wer alles gesagt hat: So ein lieber Hund. Die Wiener Wurst, die früher ihre Enkel bekamen, die dieser Delikatesse längst entwachsen sind, erhält nun Luna. Und zum Abschied sagt sie »So eine wie die Luna kriegst du nie wieder.«
»Ich weiß«, sage ich.
Zwölf statt tot
J ohannes und ich singen Luna ein Geburtstagsständchen: Happy birthday to you. Wie immer, wenn sie dieses Lied hört, macht sie Männchen, so haben wir es ihr beigebracht. Wir wollen sie davon abhalten, schließlich ist sie heute die Jubilarin. Als wir beide prustend vor ihr Männchen machen, kennt sie sich gar nicht mehr aus. Ratlos schaut sie von mir zu Johannes und zurück. Was wollen die jetzt? Wieso krieg ich meinen Napf nicht? Was muss ich tun? Schnell geben wir ihr Frühstück, damit alles wieder in normalen Bahnen läuft, danach rollt sie sich zu einem Verdauungsschläfchen ein. Auch die Mails, die sie bekommt, interessieren sie nicht. Ja, es gibt Menschen, die ihr gratulieren, manche vielleicht auch, um ihre Verbundenheit mit mir zu bekunden. Für einige Freunde symbolisiert Luna eine heile Welt, in der man kontemplativ Gassi geht durch eine intakte Natur. Bilder, die Sehnsüchte wecken: Der Mensch und sein Hund durch Wälder voller Nebelschwaden, über weite Felder, am Seeufer entlang, in einem Farbenspektakel bricht die Sonne durch die Wolkendecke. An Sauwetter denkt da keiner, und wenn, ist es mystisch. Der Verbindung zwischen Mensch und Tier scheint ein Geheimnis innezuwohnen. Mein Freund Peter erzählte mir einmal von einem Mann mit einem alten Boxer, der ihn sehr beeindruckte: Jeden Abend sah er die beiden auf dem Grünstreifen entlanglaufen. Der Mann hatte die Hände auf dem Rücken, der Boxer lief fünf, zehn Meter hinter ihm, er drehte sich nie nach ihm um. Es war, als wären die beiden ein Körper, und um sie herum rauschte der Verkehr. Obwohl der Mann scheinbar nicht auf den Hund achtete, erweckten sie den Eindruck, konzentriert aufeinander bezogen zu sein.
Wenn man mit einem Hund lebt, ist er immer da, sogar, wenn er nicht da ist. Vor einigen Jahren, als ich ohne Luna in einem Restaurant verabredet war, forderte ich beim Gehen einen auf dem Boden liegenden schwarzen Schirm auf: »Komm!« Und zuweilen habe ich ihre Pfoten hinter mir tapsen hören, obwohl ich allein unterwegs war. Luna gehört zu mir wie ein outgesourctes Körperteil. Und außerdem ist mein Hund gewissermaßen ein Zeitzeuge. Mit ihr habe ich so viel erlebt, nicht nur auf unseren Streifzügen durch das Fünfseenland. Wir haben unzählige Begegnungen mit Menschen gehabt, waren bei Meetings in Verlagen, sind Hunderttausende von Kilometern Auto gefahren, waren im Urlaub, haben uns in die Lebensgeschichten meiner Ghostwriting-Schützlinge vertieft, und wie oft hat sie mir eines ihrer Schlappohren geliehen, wenn ich eine Zuhörerin brauchte. Manchmal nur, um den Tag zu planen: Heute, Luna, machen wir Folgendes … Manchmal, um ein Problem zu erörtern: Was meinst du, wäre am besten …? Hin und wieder, um mich aufzumuntern: Gell, das schaffen wir! Oder einfach, um sich meine Liebe anzuhören mit den gereimten Wortketten voller Peinlichkeiten.
Eine der beeindruckendsten Begegnungen in meinem Leben ist die mit dem Fotomodell im Rollstuhl, Ines Kiefer. Das erste Mal fuhr ich allein zu ihr, mit dem Zug. Später, beim Schreiben – das Buch erhielt den passenden Titel Das Glück geht nicht zu Fuß –, begleitete mich Luna, die sich schnell mit Ines’ Hündin Sita anfreundete. Bevor ich Ines traf, war ich überzeugt: Wenn ich auf einen Rollstuhl angewiesen wäre, würde ich nicht mehr leben wollen. Dann lieber gleich tot. Vier Stunden später bei der Rückfahrt hatte sich meine Meinung geändert. Ich wusste nun, dass im Rollstuhl sitzen nichts über die Lebenszufriedenheit, ja die Glücksfähigkeit eines Menschen aussagt. Und dass ich mit gelähmten Beinen dieselbe Person bliebe, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, da
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