Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
ihrer Klientel zu begreifen, erzählte sie. Zu Beginn ihrer Tätigkeit habe sie die Menschen direkt angesprochen. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Viele seien daraufhin wortlos gegangen. Es dauerte Wochen, bis jemand der Sozialarbeiterin erklärte, dass man mit ihr nicht über Sorgen und Nöte sprechen würde, solange man nicht wisse, wer sie sei: Wir kennen dich doch gar nicht. Wir wissen nicht, ob du verheiratet bist, Kinder hast, wer deine Eltern sind und wie es ihnen geht. Woher also sollten wir das Vertrauen aufbringen, dir zu erzählen, wie es uns geht, was uns bewegt, was uns bedrückt? Die Sozialarbeiterin veränderte ihr Verhalten. Trank mit Frauen, die deutliche Spuren einer Misshandlung im Gesicht trugen, in aller Ruhe Tee, plauderte über ihre Kinder, fragte nicht, bohrte nicht, verabschiedete sich freundlich nach diesem scheinbar unverbindlichen Besuch, der ein zukünftiges vertrauliches Gespräch vor bereitete.
Ich setze Kaffee auf. Luna hat kurz geschlafen und will jetzt noch mal raus. Ich lasse sie in den Garten, zu spät fällt mir ein, dass sie dann wieder schmutzig wird, egal, ich wollte ja ohnehin putzen.
Fünf Minuten später steht sie vor der Terrasse und möchte wieder rein. Zehn Minuten später will sie wieder raus. Oder doch nicht? Sie nervt mich. Ich merke, dass ich angespannt bin, und das geht nicht von Luna aus, ihr Verhalten ist eine Reaktion. Bis siebzehn Uhr muss ich einen Klappentextvorschlag für meinen Kriminalroman Verbiss an den Verlag mailen, das Buch ist schon seit einigen Wochen fertig. Ein Klappentext benötigt zwar nur wenige Zeilen, aber da muss jedes Wort sitzen. Luna weiß das, beziehungsweise sie reagiert darauf, dass ich angespannt bin, solange ich das nicht geschafft habe. Also sollte ich jetzt als Erstes den Text schreiben. Alles ganz einfach. Luna ist meine Zeitmanagerin. Sie lässt es nicht zu, dass ich aus der Balance gerate, prophylaktisch quengelt sie. Natürlich könnte ich sie anbrüllen. Natürlich kann man einem Kind eine Ohrfeige geben. Weil es einen bis aufs Blut reizt. Kinder können das, Hunde auch. Aber sie sind meistens schneller zu beruhigen.
»Jetzt ist Schluss!«
Luna verzieht sich in ihren Korb, leckt sich über die Schnauze, rollt sich ein.
Jetzt tut sie mir leid. Sie hat doch gar nichts Verbotenes gemacht. Ich war zu harsch. Nach so vielen Jahren passiert mir das noch immer. Ich wünsche mir, es würde mir gelingen, gleichbleibend freundlich und souverän aufzutreten, wie Luna es von ihrer Chefin erwarten kann, die eben leider keine Führungsqualitäten an den Tag gelegt hat. Anstatt sie nun in Ruhe zu lassen, Hundesind ja nicht nachtragend, knie ich mich neben den Korb anstatt in den Klappentext rein. »Hey, Luna! Entschuldigung. Ich hab’s gleich, okay?«
Es läuft überraschend gut nach dieser Vorgeschichte. Nach zehn Minuten schon habe ich eine Fassung, mit der ich zufrieden bin. Keine Frage, Luna hat sie mir beim Regengassi zugeflüstert. Sie wedelt. Ich lache. Jetzt sind wir beide wieder gut drauf. Ich fülle den Napf, und dann putze ich nicht nur Küche und Flur, sondern alle Böden für möglichst viel Glückshormonausschüttung bei diesem Sauwetter. Den Hormonen ist es egal, wofür sie belohnen, es geht darum, etwas zu erledigen, das reicht denen schon, um das Füllhorn auszugießen.
Natürlich kommt man mit einem Hund zu nichts. Ich wundere mich oft, wie ich es schaffe, überhaupt so viele Buchstaben zu produzieren. Andererseits geht mit einem Hund alles viel schneller, weil er so eine heitere, kreative Atmosphäre verbreitet. Es flutscht einfach. Und … wir haben ja auch ziemlich tolle Sachen erlebt, die ich Johannes am Abend erzähle: s ehr viel geschnuppert und gebuddelt, fast eine Maus erwischt, uns in den letzten Schneefeldern gewälzt und einen Riesenstock zerkaut. Außerdem zehn Seiten am neuen Krimi geschrieben, einen Klappentext verfasst und die Korrekturfahnen meines Buches mit der Feuerwehrfrau Manuela Wedel gelesen, alle Böden geputzt und Kinokarten reserviert.
»Und das bei dem Sauwetter«, staunt Johannes.
»Wo Luna ist, scheint die Sonne«, behaupte ich.
Schussunfest
A uf einmal ist Weihnachten vorbei, und Silvester steht vor der Tür. Wir sind zu Besuch bei Johannes’ Bruder in Nürn berg und bummeln am Vormittag durch die Innenstadt. Lang waren wir in keiner Fußgängerzone mehr mit Luna. Sie erweckt noch immer Aufmerksamkeit, aber anders. »Allmächd na, a Medusalem«, sagt jemand zu ihr. Ja, ihre Schnauze
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