Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
man haben, hatte eine andere Schwester, die gerade erst verlassen worden war, sehnsuchtsvoll gemeint.
Gleichzeitig stellte dieser zärtliche Ehegatte ihre Geduld auf eine harte Probe. Seine ständigen Fragen gingen ihnen auf die Nerven. Mit kritischem Blick beobachtete er jede Handbewegung, wenn der Venenkatheter im Handgelenk mit Kochsalzlösung gereinigt wurde, überlegte sich, ob die Blutproben auch zum richtigen Zeitpunkt abgenommen und die Schmerzmittel zum richtigen gegeben wurden. Er fragte stets nach, warum es wieder solange gedauert habe, wenn jemand die Kissen aufschüttelte, den Verband wechselte, die Getränke nachfüllte, das Kopfende verstellte oder die Bettpfanne holte.
Claes konnte es dem Mann nachfühlen. Auch ihn hätte es niedergeschmettert, wenn jemand auf Veronika geschossen hätte.
Aber er hatte am Morgen geschwiegen, als sie sich beklagt hatte. Ihm war aufgefallen, dass Menschen, die im Pflegesektor tätig waren, mit der Zeit abstumpften. Ähnliches war ihm auch bei Streifenbeamten aufgefallen. Sie bekamen immer alles ab, wenn sie als Erste am Tatort waren. Es war schwierig, ständig mit Elend konfrontiert zu werden und gleichzeitig sensibel zu bleiben. Trotzdem ließ ihn Veronikas lakonische Art manchmal aufhorchen, obwohl ihm klar war, dass sie gar nicht zynisch klingen wollte. Sie hatte einfach zu viel gearbeitet.
Aber jetzt war Spätnachmittag, und er hatte sich ein eigenes Bild von dem Mann gemacht. Zwar nur aufgrund eines ersten Gesprächs, aber auch kurze Begegnungen konnten aufschlussreich sein. Sie hatten sich im Haus der Erikssons getroffen, einer großen, elegant eingerichteten und zentral gelegenen Villa. Harald Eriksson hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen, und Claesson hatte keinen Grund zu Einwänden gehabt.
Eriksson war nur rasch nach Hause gekommen, um sich umzuziehen und etwas zu essen. Schon am Telefon hatte er gehetzt geklungen, als hätte er sich regelrecht vom Krankenbett losreißen müssen. Er hatte auch angedeutet, dass er es vorziehe, wenn Claesson nicht in einem Streifenwagen vorfuhr.
Harald Eriksson hatte jedoch auch nicht damit gerechnet, dass der Kriminalkommissar angeradelt kommen würde. Er hatte abwartend in der Tür gestanden und Claesson erst eingelassen, nachdem dieser seinen Dienstausweis aus der Brusttasche gezogen hatte.
»Das kam wirklich ungelegen«, sagte Harald Eriksson und schüttelte verärgert den Kopf, nachdem sie im Wohnzimmer Platz genommen hatten.
Claesson nickte. Unglück kam nur selten gelegen.
»Die Firma befindet sich gerade in einer schwierigen Phase«, erklärte sein Gegenüber.
Er strahlte sehr viel Autorität aus. Er war recht groß, hatte ein kräftiges Kinn und eine hohe Stirn. Sein dunkles Haar trug er zurückgekämmt. Seine Augen waren braun, sein Mund war schmal und streng. Er war ordentlich, jedoch leger gekleidet, Hemd, dunkle Tuchhose mit Bügelfalten und auch in Kniehöhe einem Knick, wo sie über einem Bügel gehangen hatte. Er hatte sie vermutlich eben erst aus dem Kleiderschrank genommen.
Harald Eriksson war selbstbewusst und machthungrig. Claesson war es in seiner Gesellschaft nicht recht wohl, und er sah sich gezwungen, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.
Eine nichts Böses ahnende Frau geht nach Hause und wird niedergeschossen. Das war geschehen, soweit sie wussten zumindest. Das hätte natürlich jeden Angehörigen vollkommen aus der Fassung gebracht. Der Ehemann beschrieb die Situation nicht nur als unbehaglich, sondern auch als unwirklich, fast absurd.
»Werden Sie den Täter fassen?«, fragte Harald Eriksson in einem Ton, der mehr wie eine Aufforderung als eine Frage klang. »Ich erwarte, dass Sie ihn dingfest machen«, fuhr er fort und warf Claesson einen forschenden Blick zu. »Haben Sie dafür überhaupt genug Leute?«
»Wir haben genügend Leute«, meinte Claesson, »aber das hilft nicht immer.«
»Dann müssen Sie eben noch aufstocken«, gab der Mann zurück.
»Wir tun unser Bestes.«
Claesson war schon auf dem Weg zur Haustür, blieb aber in der Diele stehen, als wäre ihm noch ein Gedanke gekommen. Er war mit Eriksson noch nicht ganz fertig. Außerdem hatte er gute Erfahrungen mit sogenannten Dielenvernehmungen gemacht. Wenn der Besucher im Begriff war aufzubrechen, war die andere Person häufig weniger wachsam. Die Erkenntnis, in Bälde mit den großen Gefühlen der Trauer oder dem schlechten Gewissen alleingelassen zu werden, konnte zu Geständnissen oder langen Erzählungen
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