Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Wenn man sich bei einem Fest ohne Tischordnung einen Platz sucht, entsteht immer ein Gedränge. Es gibt Leute, neben denen alle sitzen wollen, und Leute, die allein sitzen. Aber ich wollte an diesem Abend nur eins. Ich wollte Charlotte Drott erobern. Sie war zusammen mit zwei Freundinnen gekommen, die eine war Kristina Luna, die damals noch Pettersson hieß. Sie treffen sich, soweit ich weiß, immer noch gelegentlich. Jedenfalls telefonieren sie miteinander.«
Er machte eine Pause.
»Oder? Ich weiß allerdings nicht, wann sie sich zuletzt gesehen haben. Es sind so viele Jahre vergangen. Kristina Luna hat jedenfalls Blumen geschickt.« Er schaute Richtung Esszimmer, wo die Vasen standen.
»Immerhin saß ich bei Charlotte und ihren Freundinnen und wurde mutiger als bei der Feier des Kartoffelkloßes. Charlotte war blass, aber strahlte trotzdem. Das war, bevor ich realisierte, dass dieser farblose und vorsichtige Stil ein Zeichen für Klasse war. Dieses nüchterne Äußere hatte sich in Charlottes Familie über Generationen vererbt. Dünne Wolle, Tweed, Loden, Wildleder. Sie sah natürlich sehr jung aus, fast mädchenhaft. Sie war zartgliedrig und trug das Haar kurz geschnitten nur bis zu den Ohrläppchen.«
Er zeigte mit den Händen.
»Sie war schließlich noch sehr jung«, wiederholte er. »Für reife Frauen in grellen Farben hatte ich noch nie etwas übrig.«
Was Sie nicht sagen, dachte Louise und sah ihn an.
»Es dauerte jedenfalls auch dieses Mal eine ganze Weile, bis sie mich ansah. Es war wahrhaftig nicht leicht, mit ihr zu flirten.«
Er wechselte das Standbein. Louise überlegte sich, wie lange er bereits erzählte, schaute jedoch nicht auf die Uhr. Die Zeit verging rasch.
»Am besten kann ich mich heute noch an die Gerüche erinnern«, sagte er. »So ist das wohl bei uns Menschen. Ein Duft weckt viele Erinnerungen. Gestern habe ich versehentlich eine Flasche Eau de Toilette fallen lassen und glaubte, der Schmerz würde mich überwältigen. Es war der hauchzarte Duft von Louise. Nichts an ihr war aufdringlich. Es war auch das Zurückhaltende, Diskrete, was einem das Gefühl von Exklusivität vermittelte. Ich wusste damals natürlich nicht, wie ich diesen Unterschied beschreiben sollte. Aber ich empfand ihn deutlich in diesem Keller der Kalmarer Nation. Plötzlich wollte ich sie nur noch vor dem Lärm schützen und von dort fortbringen. Warum, verstand ich nicht einmal selbst. Aber ich hatte das Bedürfnis, mich um sie zu kümmern. Es kam tief von innen heraus«, sagte er.
Vielleicht war ihm ja auch nur daran gelegen, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen, dachte Louise Jasinski. Sie war froh, dass ihr Tonband in der Tasche lief. Sie wusste jedoch auch, dass sie die Aufnahme nicht würde verwenden können, da sie ihn nicht um Erlaubnis gebeten hatte, das Gespräch aufzuzeichnen.
»Aber Charlotte machte überdeutlich, dass sie sich nicht dabei helfen lassen wollte, von dort wegzukommen«, fuhr er fort. »Sie könne auf sich selbst aufpassen, sagte sie.«
Er lachte voller Wärme.
»Wir blieben also sitzen, und das war genauso gut. Wir tranken ein Bier nach dem anderen, und auf dem Tisch lagen Zigarettenkippen in den Essensresten auf den weißen Papiertischdecken. Plötzlich stand Charlotte auf und erklärte,’ sie werde jetzt nach Hause gehen, und zwar allein. Ich schrieb ihr meine Telefonnummer auf ein Stück Tischtuch. Ich glaubte selbst nicht daran, dass sie mich anrufen, sondern dass sie den Zettel in den erstbesten Papierkorb in der Biskopsgatan werfen würde. Aber drei Tage später rief sie an.«
Um seine Augen tauchten Lachfältchen auf, und er sah plötzlich viel jünger aus. Louise Jasinski verstand, was Charlotte damals anziehend gefunden hatte. Entschlossenheit gepaart mit Sensibilität wirkte auf gewisse Frauen attraktiv. Er war ein Mann, dem nichts geschenkt worden war und der es nicht kannte, dass sich Probleme mit Hilfe von Kontakten oder Geld lösen ließen. Er hatte die Schwierigkeiten des Lebens selbst meistern müssen. Das trug zur Charakterstärke bei.
»Und dann fing es an«, sagte er mit einem glücklichen Gesichtsausdruck.
Es vergingen ein paar Sekunden. Es war so, als hätte er einen Rollladen heruntergelassen. Er fiel in sich zusammen und begann zu schluchzen.
»Seien Sie so gut und gehen Sie«, sagte er zu Louise Jasinski. »Ich muss jetzt allein sein.«
Louise ging zu ihrem Wagen. Es war etwas kühler geworden. Die Nachbarin harkte noch immer Laub. Louise stieg
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