Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
jetzt weiter für Pläne?«, fragte Harald Eriksson.
»Wir warten erst einmal ab, was die Obduktion ergibt. Vielleicht liefert sie eine Erklärung … vielleicht ergibt sich auch nicht mehr als das, was wir bereits wissen … über die Schießerei.«
Ihre Worte gaben das Chaos ihrer Gedanken wieder. Sie wünschte sich, sie hätte ihm eine genaue Strategie vortragen können.
»Wissen Sie denn überhaupt was?«, erkundigte er sich säuerlich.
»Wir müssen noch einige Funde analysieren, aber es gibt keinen Verdächtigen. Einstweilen nicht.«
Er starrte auf den Perserteppich und schüttelte dann den Kopf, als hätte er es nur mit Idioten zu tun.
»Ich sage es immer wieder«, meinte er verbissen. »Wenn Sie hier bei der Polizei Oskarshamn nicht die Möglichkeiten haben, dann müssen Sie eben dafür sorgen, dass Ihnen geholfen wird. Dafür wird es doch Spezialisten geben! Experten aus Stockholm, die helfen können.«
»Wir bitten wirklich immer um Hilfe, wenn wir das für nötig halten«, betonte Louise, »es geht uns wirklich nicht darum, uns einen Fahndungserfolg an die Brust zu heften, das müssen Sie wissen.«
Sie dachte an die Täterprofilgruppe, die sie bei komplizierten Ermittlungen konsultieren konnten. Bislang hatten sie mit ihr noch keinen Kontakt aufgenommen. Aber vielleicht sollten sie das tun? Die Gruppe bestand aus handverlesenen Spezialisten, die bei schweren Gewaltverbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Misshandlung und Erpressung bei den Ermittlungen behilflich waren. Sie stellte auch Risikoberechnungen an.
Louise Jasinski wollte den Witwer jetzt in Ruhe lassen und erhob sich. In der düsteren Diele entdeckte sie ein gerahmtes Schwarzweißfoto von Harald und Charlotte, die an einem Cafétischchen saßen. Sie wirkten jung und glücklich. Louise blieb stehen und sah sich das Foto genauer an. Harald hatte seine Hand auf Charlottes gelegt. Die Kontraste waren scharf. Das Foto war sicher irgendwo im Süden aufgenommen worden.
»Da waren wir noch jung«, meinte Harald Eriksson mit belegter Stimme.
Louise nickte.
»Die Zeit vergeht«, erwiderte sie.
»Wir waren glücklich. Das war auf unserer Hochzeitsreise nach Paris.«
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«, fragte Louise, mehr um überhaupt etwas zu sagen.
Sie merkte, dass er erzählen wollte. Sie änderte ihre Strategie. Es war wieder einmal so, dass jemand auf der Türschwelle gesprächig wurde. Wahrscheinlich würden sie eine Weile dort stehen.
»In Lund«, antwortete er, den Blick verträumt. »Wir haben beide dort studiert.«
Louise nickte.
»Es wurde am ersten Abend nichts.«
Es wurde nichts, was für ein schicksalsschwerer Anfang, dachte Louise. Sie hatte sich auf Zuhören eingestellt.
»Aber der Ball war ins Rollen geraten«, fuhr Harald Eriksson nachdenklich fort und verstummte dann. »Doch wer außer Charlotte will sich diese sentimentalen Geschichten überhaupt noch anhören?«, meinte er verzweifelt und brach in Tränen aus. »Und sie ist nicht mehr hier.«
Louise stand reglos da. Der Mann schluchzte.
»Ich höre gerne zu, wenn Sie erzählen wollen«, meinte sie vorsichtig. »War es Liebe auf den ersten Blick, oder … kam die Liebe erst später dazu?«
Er zog ein klassisch kariertes Taschentuch hervor und schnauzte sich. Dann musterte er sie verärgert. Sie sah ein, dass sie es zu eilig gehabt hatte, und wurde über und über rot.
»Niemand hat mir je diese Frage gestellt. Nicht mal Charlotte«, meinte er dann nachdenklich. »Aber ohne zu lügen, kann ich wirklich sagen, dass es bei unserer ersten Begegnung so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gab, obwohl das vielleicht kitschig klingt.«
Er seufzte und steckte das Taschentuch wieder in die Hosentasche.
»Leider können wir Charlotte nicht mehr fragen, aber ich glaube, dass sie auch dieser Meinung war. Obwohl wir uns nur selten darüber unterhalten haben. Wir sind beide vermutlich eher praktisch veranlagt, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Romantische Grillen lagen uns nicht.«
Er starrte auf die dunkle Eichentreppe, die ins Obergeschoss führte.
»Und trotzdem musste ich sie erobern«, meinte er zufrieden. »Das war fast wie ein Feldzug.«
Louise sah ihn mit großen Augen an. Sie wäre gerne Gegenstand einer Eroberung gewesen, zielstrebig, ausdauernd und leidenschaftlich.
»Zum ersten Mal sind wir uns auf einem Ball begegnet. In ungeraden Jahren feiern alle aus der Region Kalmar das Fest des großen Kartoffelkloßes. Das heißt wirklich so. Bei diesem Fest
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