Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
der Nachbar war, aber allen stand die Frage ins Gesicht geschrieben.
»Wer will Kaffee?«, fragte Louise, als keine Fortsetzung kam.
Sie stand auf und nahm die Bestellungen entgegen. Zwei schwarz, einen randvoll mit einem Schuss Milch, eine halbe Tasse mit zwei Stück Zucker und viel Milch und einen Tee.
Sie kam mit einem Tablett zurück.
»Vielleicht arbeitet die Mutter in einem Lebensmittelladen«, meinte sie.
Zwei Sekunden blieb es still.
»Dann hätten ihre Kollegen doch bemerken müssen, dass sie weg war«, meinte Peter Berg. »Jedenfalls hätten sie sich etwas denken müssen, nachdem wir die Sache in den Medien so publik gemacht haben.«
»Vielleicht hat sie ja gar nicht gefehlt«, beharrte Louise. »Vielleicht war sie ja nur einen einzigen Tag weg. Hat sich wegen einer Erkältung oder einer Magenverstimmung oder was auch immer krank schreiben lassen.«
»Warst du nicht auch gerade krank?«
Lennie sah sie spöttisch an.
»Weißt du was!«, sagte sie. »Keine Chance. Ich will wirklich kein Kind mehr.«
»Aber ihre Kollegen müssten doch was gemerkt haben?«, fuhr Peter Berg fort.
»Das ist nicht sicher.«
Dann erzählte sie von einer Mitschülerin, deren gesamte Schwangerschaft von niemandem in der Klasse bemerkt worden war. Sie hatte das Kind zur Welt gebracht, ein paar Tage gefehlt, hatte wieder am Unterricht teilgenommen, und dann waren Sommerferien gewesen. Sie hatten nicht einmal bemerkt, dass sie dicker geworden war. Sie waren jung und naiv gewesen, und eine Schwangerschaft hatte sich außerhalb ihrer Vorstellungswelt befunden. Sie hatten so etwas kaum für möglich gehalten, obwohl sie gewusst hatten, dass sich ordentliche Mädchen davor in Acht nahmen.
»Sie war recht mager«, fuhr sie fort. »Beine und Arme waren dünn geblieben, und den Bauch hatte sie unter weiten Pullovern versteckt. Ich könnte mir vorstellen, dass es einer dicken Frau noch leichter fällt, eine Schwangerschaft geheim zu halten.«
»Das hat mir einer der Ärzte auch gesagt«, meinte Erika Ljung. »Frauen, die ihre Schwangerschaft übersehen, sind statistisch meist übergewichtig.«
»Aber das ist nur die Statistik, das dürfen wir nicht vergessen. Wer ausreichend unter Druck steht oder nicht darauf eingestellt ist, kann eine Schwangerschaft verdrängen. Das wissen wir.«
»Das Wort unerwünscht klingt so schrecklich«, meinte Peter Berg nachdenklich.
Lennie schaute verlegen auf seinen leeren Teller und kaschierte nur schlecht ein Rülpsen.
Die Runde sann noch eine Weile über dieses Thema nach. Warum hatte sich die Mutter der kleinen Matilda immer noch nicht gemeldet?
»Wir haben bislang noch keinen einzigen vernünftigen Hinweis bekommen. Das ist merkwürdig«, meinte Erika Ljung.
»Die Mutter hat den Karton vermutlich abgestellt und ist dann aus der Stadt verschwunden«, sagte Peter Berg. »Vielleicht arbeitet oder studiert sie irgendwo anders.«
»Vielleicht hat sie im Auto gewartet, bis die Luft rein war, und dann den Karton ausgeladen«, schlug Martin Lerde vor, der bislang fast nur geschwiegen hatte.
»Das werden wir früher oder später erfahren«, meinte Louise und stand auf.
»Glaubst du?«, fragte Peter Berg und lächelte schief.
Louise kehrte an einen vollkommen leeren Schreibtisch zurück. Herrlich! Jetzt war sie bereit.
Sie begab sich zum Sekretariat in der Mitte des langen Korridors, um die ins Reine geschriebenen Notizen und Verhöre zu holen. Fröhlich nickte sie den drei anwesenden Sekretärinnen zu. Die vierte war schon seit Ewigkeiten wegen Rückenbeschwerden krankgeschrieben. Alle drei hatten Kopfhörer auf, und ihre Finger tanzten über die Tastaturen.
Sie ging den Korridor entlang zurück und blätterte die Mappe rasch durch. Sie war vollständig. Die Vernehmungen von Personen, die nach dem Schuss auf dem Friedhof zufällig vorbeigekommen waren, Vernehmungen der Nachbarn und des am Montag anwesenden Personals der Chirurgie.
Sie ging in ihr Büro, setzte sich an den Schreibtisch und begann zu lesen.
Es würde nicht leicht werden, die Spuren vom Tatort auf dem Friedhof zu verwerten. Außerdem drängte sich der Eindruck auf, dass es sich um ein Versehen gehandelt hatte und Charlotte Eriksson nur zufällig vorbeigekommen war.
Louise blätterte zu Claessons Verhör mit Charlotte Eriksson in der Klinik weiter. Sie suchte nach dem Namen der Freundin, die Charlotte zum Nähkränzchen eingeladen hatte. Louise hatte sich den Namen bei der Vernehmung von Harriet Rot aufgeschrieben, konnte
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