Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
würde vorläufig mit Harriet im Team arbeiten, teilte die Pflegedienstleiterin mit. Das war sehr großzügig, das war ihr trotz aller Kommentare, dass das doch eine Selbstverständlichkeit sei, klar.
»Überhaupt kein Problem«, wiederholte die Pflegedienstleiterin. »Sie können sich ganz sicher sein. Wir verstehen sehr gut, dass Sie es nach solch einem Anfang mit Polizei und allem nicht leicht haben.«
Sara-Ida hatte letzten Montag, eine Woche nach dem Schrecklichen, in ihrem Büro gesessen. Die Pflegedienstleiterin hatte bereits vorher einmal mit ihr gesprochen.
Jetzt hatte sie Britt-Louise Karp, die allgemein nur Karpen, also der Karpfen, genannt wurde, wieder zu sich rufen lassen. Sara-Ida war alles andere als begeistert. Sie hatte weder Lust, mit ihr zu reden noch mit ihr zusammen zu schweigen. Es war in etwa dasselbe Gefühl gewesen, zum Rektor gerufen zu werden, das geschah auch nicht, ohne dass etwas Ernstes vorgefallen war.
An der Tür stand »Pflegedienstleitung Britt-Louise Karp«. Sara-Ida hatte das Schild mittlerweile oft gelesen. Eine Tür zu haben, auf der der eigene Name stand! Aber wenn sie erst einmal ein Promi war und ihre ersten Filme drehte, wenn ihre Modelkarriere ihrem Ende zuging, dann würde sie in so einem Regiestuhl sitzen, auf dessen Rückenlehne ihr Name stand.
»Auch bei uns darf man Fehler machen«, begann der Karpfen dieses Mal. »Man lernt aus seinen Fehlern, das wissen Sie sicher«, lächelte sie.
Sara-Ida wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie saß wie beim letzten Mal auf einem graublau gepolsterten Stuhl ohne Armlehnen. Der Karpfen hatte Fotos ihrer Kinder auf einem Bücherregal stehen und daneben einen Kupferkessel mit verblichenen und staubigen Strohblumen.
Sara-Ida stieß mit ihren Ellbogen an die kalte Betonwand, als sie, vor allem um Zeit zu gewinnen, das Gummiband ihres Pferdeschwanzes festzog.
Was sollte sie antworten? Aus den Fehlern lernen!
Der Karpfen hatte das letzte Mal gesagt, dass sich Sara-Ida nicht zu schämen und auch keine Angst davor zu haben brauchte, was die anderen dächten. Aber jetzt schien sie das Problem in einem anderen Licht zu sehen.
»Der menschliche Körper hat so viele unerklärliche und launische Seiten«, sagte sie.
Das war durchaus so, dachte Sara-Ida.
»Ein Unglück ist schnell passiert«, fuhr der Karpfen fort.
Sara-Ida nickte, blieb aber ernst.
»Sie können sich auf mich verlassen. Meine Lippen sind versiegelt.«
Sara-Ida runzelte die Stirn. Ihre Unlust nahm zu.
»Sie können mir gerne alles erzählen, was sich bei der Patientin im Einzelzimmer zugetragen hat«, fuhr der Karpfen immer noch unbeschwert fort. Sara-Ida meinte jedoch eine gewisse Forciertheit zu bemerken und war auf der Hut.
Der Karpfen saß reglos und aufrecht da. Sie trug eine dunkelblaue Wolljacke. Die weiße Schwesterntracht war aus Baumwolle. Wahrscheinlich hatte sie sie mit nach Hause genommen und selbst gebügelt, weil die Sachen recht zerknittert waren, wenn sie aus der Wäscherei kamen. Ein BH mit Spitze schimmerte darunter. Sie trug keine Arbeitsschuhe, sondern dunkelblaue Pumps. Sie arbeitete nicht in der Pflege, sondern nahm an Besprechungen teil oder saß in ihrem Büro.
Ihre Stimme war honigsüß und klebrig.
Sara-Ida ließ die Sekunden verstreichen und schaute abwechselnd auf den hellblauen, stabilen Webteppich und den Karpfen. Sie hatte dunkelblond getöntes Haar und einen Pony. Sah eigentlich recht gut aus, fand Sara-Ida, und Respekt einflößend. Ihre schwarze Metallbrille war eckig.
Der Karpfen ließ ihren Blick auf Sara-Idas Gesicht ruhen.
»Nur Sie und ich sind hier«, sprach sie weiter. »Sie brauchen keine Angst zu haben.«
»Aber es ist doch gar nichts passiert!«
Sara-Idas Stimme war leise, verunsichert und gleichzeitig verzweifelt.
»Natürlich ist das ein Trauma für Sie, bereits am ersten Tag diesen unerwarteten Todesfall zu erleben.«
Trauma war ein großes Wort. Sara-Ida hatte es schon mehrfach gehört, war aber trotzdem beeindruckt. Die meiste Zeit wurden so große Worte gebraucht. Worte, mit denen sie nichts anfangen konnte.
»Ich will noch einmal betonen, dass Fehler wiedergutgemacht werden können«, beharrte die Pflegedienstleiterin. »So arbeiten wir an dieser Klinik.«
»Aber ich habe keinen Fehler gemacht!«, rief Sara-Ida.
Wieder machte sich eine unsichere Stille in dem kleinen Büro breit.
»Tja dann.«
Britt-Louise Karp holte tief Luft und beendete das Gespräch mit der Bemerkung über Sara-Idas
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