Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Morgen. Sie würde völlig durchnässt sein. Und das, obwohl ihr Haar gerade wieder getrocknet war.
Hänschen hatte nichts von sich hören lassen. Das war schön. Alles war vorbei. Sie brauchte ihn nicht mehr, das hatte er wohl kapiert.
Kein spätes Aufbleiben mehr, weil er sie besuchen wollte, ohne gesehen zu werden. Wie dumm sie gewesen war, dass sie geglaubt hatte, sie würde ihm etwas bedeuten, dass sie eine Schönheit und etwas Besonderes war, weil es so einem alten Macker gefiel, ihre Brust zu streicheln. Sie wollte keine alten Macker mehr. Sie wollte einen, der jung und knackig war und dachte wie sie.
Der Ring! Was sollte sie damit machen? Vermutlich einfach zurückschicken, aber wohin? Vielleicht zu ihm nach Hause. Nein, sie konnte ihn genauso gut behalten, es war schließlich ihrer. Sie musste an ihre Karriere als Model denken, und da konnte es vielleicht nützlich sein, dass er so teuer aussah. Schlimmstenfalls konnte sie ihn verkaufen.
Vollkommen idiotisch, dass sie davon geträumt hatte, diesen Typen zu heiraten! Sie schämte sich fast.
Er wollte sein trostloses und vorhersehbares Leben hinter sich lassen. Sie würden nicht einmal mehr miteinander schlafen, er und seine Frau, so tot sei ihre Beziehung, hatte er erzählt. Es sei an der Zeit, sich neu zu orientieren, so hatte er sich ausgedrückt. Und bei dieser Neuorientierung hatte er ihr die Rolle des rettenden Engels zugedacht. Das war sehr verlockend gewesen. Ein stinkreicher Mann würde sie auf Händen tragen. Unfassbar! Sie sollte ihm dafür durch ihr jugendliches Strahlen Kraft geben. Sobald es ihm gelänge, die eheliche Zwangsjacke abzuschütteln, würden sie ein Paar werden. Eine Märchenhochzeit hatte sie sich ausgemalt, damals, am Anfang. Mit stolzgeschwellter Brust würde er sie ansehen. Sie würde ein weißes Prinzessinnenkleid tragen, einen maßgeschneiderten Traum aus Seide und Tüll mit einer ewiglangen Schleppe, die man auf dem roten Teppich vor dem Altar ausbreiten würde.
Aber aus Sicherheitsgründen wollte er diskret sein. Das hatte sie anfänglich aufregend gefunden, nach einer Weile war ihr die ewige Heimlichtuerei aber auf die Nerven gegangen. fetzt konnten ihr die Märchenhochzeit und die romantische Hochzeitsreise gestohlen bleiben. Jedenfalls mit ihm.
Vielleicht sollte sie den Ring ja doch wegwerfen, sobald sie nach Hause kam?
»Wie geht’s?«, fragte Arne Bengtsson und postierte sich hinter ihr.
Veronika drehte sich um. Sie stand in der Schlange vor dem Kiosk im Foyer des Krankenhauses.
»Gut. Die Wogen haben sich etwas geglättet«, erwiderte sie und setzte voraus, dass er verstand, dass sie von der nächtlichen Operation von vor zwei Wochen sprach, bei der er die Anästhesie gemacht hatte.
Sie kaufte eine Banane und Schokowaffeln. Sie hatte Lust auf etwas Süßes und auch wieder nicht. Sie wartete ab, bis Arne ein Butterbrot und eine Cola light bezahlt hatte, dann wechselten sie noch ein paar Worte.
»Was glaubst du?«, fragte er.
»Weiß der Geier. Ich warte auf das Obduktionsergebnis.«
»Bei der Operation ist, soweit ich mich erinnern kann, nichts schiefgegangen. Es gab keine größeren Blutungen, außerdem war sie jung und hatte ein gesundes Herz.«
»Wirklich merkwürdig …«
Sie sah zu Boden.
»Wie kommst du damit klar?«
Sie zuckte mit den Achseln, gleichzeitig war sie den Tränen nahe. Arne war nett, ein Mann, auf den man sich verlassen konnte.
»Ich hatte am Wochenende meine ältere Tochter zu Besuch. Du weißt schon, sie wurde wegen eines Subduralhämatoms Ende August operiert. Man sieht ein, dass nicht nur der Schädelknochen sehr zerbrechlich ist, sondern das Leben überhaupt.«
»Da hast du wohl Recht.«
»Diese Sache macht mir also komischerweise gar nicht mal so sehr zu schaffen. Es ist, als gäbe es nur Raum für eine Katastrophe auf einmal. Ich muss gewissermaßen Prioritäten setzen«, meinte Veronika mit einem schiefen Lächeln, »und mich auf die konzentrieren, die mir am nächsten stehen.«
»Ich bin auf deiner Seite«, sagte er, »nur dass du das weißt.«
In diesem Augenblick schrillte sein Piepser.
»Ich muss los. Pass auf dich auf!« Er ging auf die Fahrstühle zu.
Veronika blieb stehen und schälte mit zitternden Fingern die Banane. Sie hatte Freunde. Es gab noch Hoffnung.
Dann ging sie langsam ein Stockwerk höher. In mir wächst ein neues Leben, dachte sie. Trotz der Katastrophe erfüllte sie eine unbändige und unglaublich starke Zuversicht. Trotz allem.
Sara-Ida
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