Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
robuster gewesen.
Das Freizeichen. Niemand nahm ab. Er wählte die Handynummer. Es klingelte erneut, während er nervös mit dem Fuß wippte. Er hoffte, dass auch jetzt niemand drangehen würde. Dann blieb ihm das erspart.
Schlaf, wunderbarer Schlaf!
Schließlich antwortete sein Patient. Aber er hörte so schlecht, dass seine Frau den Hörer nehmen musste. Wie oft die Tabletten genommen werden sollten? Hatte er das beim Verschreiben nicht erklärt?
»Das steht auf der Schachtel«, sagte er.
»Ach so«, erwiderte die Frau, klang aber nicht so, als hätte sie es begriffen.
Christoffer war sich nicht sicher, alle Fragen geklärt zu haben, als er auflegte. Aber was konnte er anderes tun, als alles geduldig zu erläutern? Er machte eine Notiz. Dann kam das nächste Gespräch. Die Patientin antwortete sofort, bat ihn aber, in fünf Minuten wieder anzurufen.
Er schaute auf die Uhr. Fünf Minuten, keine Sekunde länger. Was die Leute heutzutage alles verlangten! Unglaublich!
Sowohl die Theorie als auch eigene Erfahrungen über Stress hatten ihm genügend fundierte Einblicke verschafft. Er war der Mann, der sich wie verrückt abgestrampelt hatte. Zwei Jahre lang arbeitete er in Stockholm an der großen Uniklinik. Für viele war so etwas einfach nur stimulierend. Aber das, was als »positiver Stress« bezeichnet wurde, war nicht nur gut. Natürlich war negativer Stress schlimmer, aber bei Anstrengungen kam es immer auf die Menge an, ganz gleichgültig ob positiv oder negativ. Einige Menschen vertrugen mehr, andere weniger, und eine Überdosis hatte immer Nebenwirkungen.
Er hatte schon in relativ jungen Jahren seine Grenzen kennen gelernt. Sein Ruhebedürfnis. Dass er jede Nacht ausschlafen musste. Die meisten brauchten sechs bis neun Stunden ungestörten Schlaf, damit sich der Stoffwechsel beruhigen, die Körpertemperatur und die Puls- und Atemfrequenz sinken konnten.
Aber was half diese Erkenntnis, wenn man dann doch nicht zur Ruhe kam?
Während der zwei Jahre in Stockholm hatte er jeden Morgen das Gefühl gehabt, einen Berg besteigen zu müssen. Immer wieder. Das war so weit gegangen, dass er allen Ernstes über den Sinn des Lebens gegrübelt hatte, und zwar auf eine nicht ganz so bekömmliche Art und Weise. Darüber, ob es nicht genauso gut sei, den Qualen ein Ende zu bereiten.
Nach einiger Zeit war ihm jeden Morgen übel. Er erinnerte sich, wie er mit dem Frühstück kämpfen musste. Der Glaube, an den äußeren Bedingungen an der großen Klinik in der Hauptstadt etwas ändern zu können, war reine Idiotie gewesen.
»Hier akzeptiert man die Dinge, wie sie sind«, bekam er zu hören. »Wer damit nicht klarkommt, sucht sich was Neues.«
Er blinzelte und schaute auf die Uhr. Die fünf Minuten waren fast um. Aber jetzt hatte er keine Lust und keine Kraft mehr, die Patientin anzurufen. Morgen war auch noch ein Tag.
Er stand auf und verließ die Station.
Fünf Minuten später lief Christoffer Daun in Jeans und kurzen Ärmeln die Treppe der Klinik hinunter. Er war jetzt Privatmensch.
Beinahe wäre er mit Ronny Alexandersson zusammengestoßen, der die Treppe hochging.
»Schlaf gut!«, rief ihm Ronny hinterher.
Ronny war so etwas wie sein Guru. Er schaute zu ihm auf. Ronny hatte ihm geholfen, als er in der Klinik Oskarshamn begonnen und sich Sorgen gemacht hatte, ob er die Arbeit überhaupt bewältigen würde.
»Das kannst du dir gleich sparen«, hatte Ronny ohne jegliche Kritik gesagt. »Leg einfach los, dann klären wir alles nach und nach. Für jeden gibt es hier einen Platz.«
Rückblickend fand Christoffer, dass Ronny Recht hatte.
»Hier arbeiten wir, um zu leben. Wir leben nicht, um zu arbeiten«, sagte Ronny später. »Das ist eine Entscheidung, die man selbst treffen muss.«
Lex Ronny nannte Christoffer diese weisen Worte. Es gab noch mehr davon. Er hatte sie in sein grünes Ringbuch geschrieben, das immer in der großen Tasche seines Arztkittels steckte. Ronny hatte viel zu geben, seine Klugheit versiegte nie. Er war aber auch nicht der Mensch, der damit angab, er war einfach, wie er war.
Im Erdgeschoss war wie jeden Morgen viel los. Menschen strömten durch den Haupteingang. Er verlangsamte seinen Schritt und schaute zu Boden, um niemanden sehen und grüßen zu müssen. Außerdem gab es eine Person, der er aus dem Weg ging. Das war ihm bislang geglückt.
Er bekam Hunger, als ihm der Kaffeeduft aus dem Café in die Nase stieg. Er verließ das Gebäude im selben Moment, in dem der Oberarzt der
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