Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
Putz der Fassade war rissig und stellenweise abgefallen. Das fiel ihr umso stärker auf, je seltener sie herkam. Sie starrte auf den Asphalt, als würde sie nach etwas suchen, während sie sich der braunen Haustür näherte. Sie war frisch gestrichen und hob sich von der heruntergekommenen Umgebung ab, als wollte sie frech behaupten, dass sich das Haus doch noch nicht ganz aufgegeben hatte.
Das Haus hatte sechs Mietparteien. Sein Geruch war nicht ganz so aufdringlich wie in ihrer Kindheit. Weniger Essensdünste. Die Dunstabzüge funktionierten inzwischen vermutlich besser oder alle machten sich nur noch Fertiggerichte in der Mikrowelle warm. Der Geruch nach Zigarettenrauch dominierte erst, wenn man sich dem zweiten Stock näherte. Annelie trat vorsichtig auf, schlich die Stufen hoch und hoffte, niemandem zu begegnen. Sie hörte Lärm hinter der bekannten Tür, auf der in weißen Plastikbuchstaben auf blauem Filz »K. Olsson« stand. Sie blieb stehen und hielt ein paar Sekunden lang den Atem an, während sie darauf wartete, dass es wieder still wurde.
Vermutlich war ihre Mutter mal wieder sturzbetrunken. Sie setzte ihren Aufstieg fort und passierte das nächste Stockwerk.
Dann kam der Speicher.
Hier oben war es immer trocken und warm, jedenfalls wenn die Sonne auf die Dachziegel schien. Sie hatte bereits den muffigen Speichergeruch in der Nase.
Sie unterließ es, das Treppenlicht anzumachen, und schob im Dunkeln einen Schlüssel nach dem anderen in das Schloss der Speichertür. »Hoffentlich, hoffentlich«, bat sie im Stillen, als nur noch ein Schlüssel übrig war. Der mit dem rechteckigen Schaft, der an den Schlüssel erinnerte, der zur Wohnung ihrer Mutter passte und den sie sich bis zuletzt aufgehoben hatte, um die Hoffnung nicht zu verlieren.
Er passte.
Sie drehte ihn um, drückte die Klinke hinunter und schob die Tür mit der Schulter auf. Dann blieb sie stehen, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten, während sie sich versicherte, dass sie allein war.
Dann knipste sie das Licht an, das ebenso gelblich und schwach war wie immer.
Langsam ging sie an den Speicherabteilen entlang, die mit Maschendraht unterteilt waren. In dem Speicher ihrer Mutter hingen Kleider auf Bügeln, über die Plastiksäcke gestülpt waren. Dass sie so ordentlich war? Auf den Kartons lag eine dicke Staubschicht. An einem Nagel hingen Annelies alte Schlittschuhe. Hier waren sie also! Gelegentlich hatte sie sich gefragt, wo sie abgeblieben waren, aber sie hatte dann nie Lust gehabt, zum Suchen zu ihrer Mutter zu fahren, weil sie sich ihr aufdringliches Gejammer nicht anhören wollte. Deswegen hatte sie neue gekauft, aber die waren so hart und unbequem, dass ihre Füße darin weh taten.
Durch ein kleines Giebelfenster drang ein wenig Licht. In manchen Abteilen herrschte ein fürchterliches Durcheinander. Eines war nicht zugesperrt. Eine fleckige Matratze und ein Schlafsack lagen auf dem Boden. Ein Unterschlupf, der teilweise von großen Umzugskartons kaschiert wurde. Ihr Herz pochte. Hier schlief also jemand!
Sie drehte sich um, weil sie dachte, es stünde jemand hinter ihr und beobachtete sie. Ein paar leere Bierdosen, eine zusammengedrückte Milchtüte und Zigarettenkippen lagen neben der Matratze. Sie hob die Milchtüte hoch und stellte sich ins Licht, um das Datum zu lesen. Vom vergangenen Jahr. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Vielleicht wurde der Unterschlupf nicht mehr verwendet.
Obdachlose lebten gefährlich. Vielleicht war er oder sie schon nicht mehr am Leben. Ihre eigene Mutter, die vermutlich gerade zwei Stockwerke unter ihr saß und sich eine Zigarette nach der anderen anzündete, hätte zu ihnen gehören können. Aber sie hatte es noch einmal geschafft. Eine eigene Wohnung, die gelegentlich sogar recht ordentlich war, wenn sie nicht gerade jeden Tag volltrunken war.
Annelie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie das überhaupt funktionierte. Das Sozialamt konnte wohl kaum jahraus, jahrein die Miete zahlen? So war das in Schweden nicht mehr. Alkoholiker, Arbeitslose und psychisch Kranke mussten in recht großem Umfang ohne Unterstützung der Gesellschaft auskommen. Es gab die Diakonie und die Stadtmission. Es gab noch Wohlwollen. Und reiche Leute, denen es guttat, anderen zu helfen. Helfende Hände. Der ideelle Sektor nahm zu. Sie selbst hatte nie mit einer Krone zur Miete ihrer Mutter beigetragen. Manchmal gab sie ihrer Mutter ein paar hundert Kronen, wenn sie pleite war und
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