Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
wählte. Zufälligerweise war es auch ihr sehr recht, wenn Ronny erschien, aber aus ganz anderen Gründen als den rein medizinischen.
Es hätte schlimmer kommen können: Jemand hatte versucht, eine Frau zu erdrosseln, aber das Opfer hatte überlebt. Die Aufregung in der Notaufnahme rührte daher, dass es sich bei der Frau um ihre Kollegin Rosen, Tina Rosenkvist, von Station 6 handelte.
Ronnys atemlose Stimme drang durch den Hörer. Er war gerade nach Hause gekommen.
»Ich bin gleich da, ich beeile mich«, sagte er ohne Zögern.
Fresia mochte ihn wirklich! Die Frau, die ihn zum Mann hatte, konnte sich wirklich glücklich schätzen.
»So eilig ist es gar nicht«, meinte sie. »Die Sanitäter haben gerade angerufen … die Atmung ist stabil, es besteht keine größere Gefahr. Tina ist natürlich ziemlich aufgelöst. In einer Viertelstunde sind sie wahrscheinlich hier. Sie kommen aus Bråbo, aber du weißt ja, wie das ist, das kann eine halbe Stunde oder länger dauern. Sie fahren ohne Blaulicht.«
»Ich komme trotzdem gleich, umso eher kann ich wieder fahren und noch etwas Zeit mit meiner Familie verbringen«, meinte er.
Er klingt tatsächlich glücklich, dachte sie sehnsuchtsvoll. Ronny erzählte oft mit Wärme von seiner Familie. Frau und vier Kinder, die mehr waren als nur ein Rahmen für sein Berufsleben als Arzt.
Sie kehrte ins Behandlungszimmer zurück, um einem Mann, der behauptet hatte, in eine Tür gelaufen zu sein, eine große Platzwunde auf der Stirn zu nähen. Der Grund war ihr egal, genäht werden musste jedenfalls.
Sie dachte an ihre eigene bessere Hälfte. Er war Kernenergieingenieur und bisweilen recht unsensibel. Es war, wie es war, und hätte schlimmer sein können. Sie kam gut mit ihm aus. In gewissen Lebenslagen jedenfalls.
Sie zog das Betäubungsmittel aus einem Glasfläschchen auf, das ihr die Pflegehelferin mit dem Boden nach oben hinhielt.
Nur wenige Dinge waren so anziehend wie Engagement und Nähe. Seufz!
Sie spritzte die einprozentige Carbocain-Adrenalin-Lösung an mehreren Stellen in die Wunde und wartete. Der Mann auf der Pritsche war mit einem grünen, sterilen Tuch bedeckt, in das eine Öffnung für die Verletzung geschnitten war. Er lag reglos da, biss vermutlich die Zähne zusammen und hatte größere Angst, als er zugeben wollte.
»Ich lasse Sie jetzt allein. Das schaffen Sie auch sehr gut selbst«, sagte die Pflegehelferin anerkennend.
Fresia starrte sie an. Noch ehe sie ein Wort herausbringen konnte, war die Pflegehelferin bereits verschwunden.
Das Lob schmeckte bitter. Vermutlich wollte die Pflegehelferin nur eine Zigarette rauchen. Sie nutzte die Gelegenheit, weil sie wusste, dass sie selbst, Mutter dreier Kinder und Ärztin, schon klarkommen würde. Hätte es sich um Christoffer Daun gehandelt, dann wäre die Pflegekraft sicher geblieben! Sie hätte ihren kleinen Liebling nicht im Stich gelassen. Für ihn wurde immer der rote Teppich ausgerollt.
Fresia schob die bösen Gedanken beiseite. In Christoffers Haut zu stecken, war im Augenblick sicher alles andere als angenehm … vielleicht konnte man sogar sagen, dass er seine gerechte Strafe bekommen hatte?
Alle in der Klinik wussten Bescheid. Alle, die Augen im Kopf hatten, zumindest. Untreue war nur selten unsichtbar, auch wenn sich das verliebte Paar das einbildete.
War Christoffer oder ihr Ehemann über Rosen hergefallen? Mit Sicherheit wurde diese Frage so lange diskutiert, bis alle die Antwort wussten.
Fresia zog mit dem Nadelhalter die gebogene Nadel aus der Verpackung. Sie kam mit Faden zum Vorschein. Sie setzte den ersten Stich. Die Betäubung hatte gut gewirkt.
Eine vorschriftsmäßig durchgeführte, gerichtsmedizinische Untersuchung nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch. Aus diesem Grund hatte sie eigentlich beschlossen, Ronny anzurufen. Deswegen und weil es um Tina Rosenkvist ging. Sie mussten so viel Beweismaterial wie möglich auf ihrem Körper sicherstellen. Beweise, die sich dann hoffentlich vor Gericht verwenden ließen.
Fresia hatte noch ein Jahr bis zum Facharztexamen vor sich, und das war das erste Mal, dass sie es mit einem Fall zu tun hatte, der gerichtliche Konsequenzen haben würde. Eventuell musste sie später vor Gericht über die Verletzungen und ihre Ursache aussagen. Darauf war niemand besonders erpicht.
Ronny zählte außerdem zu den Ärzten, die das Verfassen von Gerichtsgutachten gelernt hatten. Früher hatten sich alle Ärzte damit beschäftigen müssen, aber jetzt hatte die
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