Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
sahen. Das Grübchen im Kinn, das auch Carl-Ivar und ihre Mutter hatten, die Cousine und der Cousin jedoch nicht. Ein Familienmerkmal.
Sie überflog einige Briefe. Liebesbeteuerungen, wie sie sie so nicht kannte und die sie verlegen machten. Aber schön waren diese Briefe. »Mein geliebter und stattlicher Schwede, wie ein …« Hier wurde ein Gewächs oder Tier genannt, dessen Namen Annelie nicht kannte. Eine poetische Sprache ergoss sich über die Seiten. Liebe wie Honig, weich wie Aprikosen oder wie warme Winde, und Küsse, die nach Pinienkernen schmeckten und süß waren wie frische Trauben. Die Briefe waren von einer Frau verfasst worden, die sich nicht auf die karge, nordische Art ausdrückte. Sie waren romantisch und wunderschön. Sie erzeugten eine unglaubliche Nähe. Lange Sätze, durch Kommata in einen Rhythmus gebracht, ganz anders als das E-Mail- und SMS-Gestammel.
Annelie traten Tränen in die Augen.
Die Frau hieß Tülüp, ihre Tochter Ayla.
Sie schlug die Mappe wieder zu, legte sie in die Tasche, denn sie wollte sie nicht im Auto und in der Feuchtigkeit zurücklassen. Sie ließ den Motor an und fuhr ein kurzes Stück zurück. Dann bog sie in den Amerikavägen ein und weiter Richtung Süden nach Mysingsö.
Während sie an umgebauten Fischerhäusern und Wohnhäusern vorbeifuhr, die direkt auf den grauen Granitfelsen standen, wurde ihr bewusst, dass ihre Verwandtschaft soeben um zwei Personen größer geworden war. Um eine gewissermaßen eingeheiratete Tante und eine waschechte Cousine.
Wenn sich alles so verhielt, wie sie vermutete. Sie hätte gerne gewusst, was wohl in den Briefen von Carl-Ivar stand. Waren sie ebenso warmherzig, liebevoll und offen gewesen, was die Gefühle anging, wie die von Tülüp?
Die Schatten waren länger geworden, das frische Grün der Bäume hob sich vom dunkel gewordenen Meer ab. Die Uhr am Armaturenbrett verriet ihr, dass sie sich nicht um viele Minuten verspäten würde.
Was jetzt?, dachte sie.
Abwarten, lautete natürlich die Antwort. Jedenfalls würde sie Birgitta nichts davon erzählen. Noch nicht. Schließlich mochte sie sie.
Das war Carl-Ivars Lüge, aber die Wahrheit betraf nicht nur ihn. Seine Feigheit hatte ihn zu seinen Handlungen veranlasst. Vielleicht hatte er unbewusst die Eigenschaft der Menschen ausgenutzt, sich mit dem meisten abzufinden. Birgitta hatte nichts sehen wollen, und er hatte gelogen.
Sie war an ihrem Ziel, parkte am Straßenrand, stieg aus und ging an den Fahrrädern vorbei, die auf dem Gartenweg standen.
Mit der Weinflasche in der Hand klingelte sie.
37
Der Abend war mild.
Claesson hatte gerade mit Louise Jasinski telefoniert. Laut Informationen von Carl-Ivar Olssons schwedischer Bank hatte er den Aufenthalt im Hotel Arkadia mit seiner Visa-Karte bezahlt. Er hatte am Abreisetag seiner Frau ausgecheckt. Es war anzunehmen, dass er kein Doppelzimmer mehr benötigte. Claesson erfuhr, dass es im Arkadia zum fraglichen Zeitpunkt gar kein freies Einzelzimmer gab.
»Wo ist er dann hin, zum Teufel noch mal?«, sagte er zu Mustafa Özen, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
Özen zuckte mit den Achseln. »Istanbul ist eine große Stadt.«
Dem war nichts hinzuzufügen.
»Dieser Lennart Ahl«, fuhr Claesson fort, »der bei der Witwe Birgitta Olsson angerufen hat. Der ist unauffindbar. Vielleicht ein Bluff … Louise lässt dich übrigens grüßen.«
Sie standen vor ihrem Hotel und warteten auf Merve Turpan. Sie wollten zusammen essen gehen. Fuat Karaoğlu konnte sie leider nicht begleiten, er hatte sich mehrmals entschuldigt, familiäre Gründe. Claesson konnte das gut verstehen.
Eine Autotür schlug zu, und Merve kam auf sie zu. Aber nicht allein. Ein junger Mann mit Lockenkopf begleitete sie.
Wahrscheinlich braucht sie einen Beschützer, wenn sie fremde Schweden trifft, dachte Claesson. Oder er war ihr Freund. Er bemerkte, dass sich Mustafa Özens Haltung etwas versteifte.
Sie gingen zwei Blöcke weiter und setzten sich in einer autofreien Straße an einen runden Plastiktisch mit einem Wachstuch darauf. Der junge Mann war ihnen als Kriminaltechniker Cem vorgestellt worden. Eigentlich sei er Chemiker, erzählte er, und kümmere sich nun um den Mord an dem Teppichhändler.
»A lot of blood«, sagte er. »Wir glauben, dass das Messer irgendwo auf dem Meeresgrund liegt. Die Schnittwunde war so tief, dass der Pathologe meint, es müsse sich um ein sehr scharfes Messer handeln. Und irgendwie wurden die Eingeweide vollkommen zerfetzt …
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