Lust kennt kein Tabu
Hause gebracht. In den letzten Tagen war sie nicht von Ziennas Seite gewichen. Unter dem Vorwand eines Notfalls in der Familie hatte sie Urlaub genommen. Für sie gehörte Zienna gewissermaßen zur Familie.
Nun saßen sie auf dem Sofa im Wohnzimmer. Zienna blickte von ihrem Teller mit den zur Hälfte verspeisten Pommes Frites auf, die Alexis für sie zubereitet hatte. „Willst du die Wahrheit wissen? Ich bin vor allem schockiert. In den letzten anderthalb Wochen kam mir mein Leben wie eine Seifenoper vor. Die körperlichen Wunden werden heilen. Bei den seelischen Narben bin ich mir nicht so sicher.“
„Auch das wirst du überwinden“, versuchte Alexis sie zu trösten. „Sei froh, dass du Nicholas wahres Wesen schon jetzt erkannt hast und nicht erst – Gott bewahre – nach der Hochzeit.“ Schaudernd verdrehte sie die Augen. „Das stelle ich mir lieber gar nicht vor.“
„Also soll ich meinem Schicksal dankbar sein?“ Um nicht imSelbstmitleid zu versinken, zwang Zienna sich zu lächeln. „Das haben meine Eltern oft gesagt. Nichts kann so schlimm sein, dass nicht auch was Gutes dabei rauskommt.“
„Immerhin lebst du. Wenn ich bedenke, was fast passiert wäre …“ Alexis stöhnte. „Hätte ich dich bloß nie mit Nicholas bekannt gemacht!“
„Oh Gott, quäl dich nicht mit unsinnigen Selbstvorwürfen! Ohne meine Beziehung zu Nicholas wäre ich Wendell vielleicht nie wieder begegnet.“
Sobald Wendell von der Attacke erfahren hatte, war er verzweifelt und voller Sorge in die Klinik geeilt. Zienna freute sich über seinen Besuch, hatte ihn aber gebeten, ihr etwas Zeit zu lassen, damit sie wieder einen klaren Kopf bekommen und den schrecklichen Zwischenfall verarbeiten konnte. Nur drei Tage gestand er ihr zu. An diesem Morgen hatte er sie angerufen und um ein Wiedersehen gebeten.
„Ach ja, Wendell …“ Alexis lachte leise. „Schau dich an! Du musst seinen Namen nur aussprechen, und schon strahlst du übers ganze Gesicht.“
Inzwischen hatte Zienna aufgehört, die Wirkung zu bestreiten, die er auf sie ausübte. Das war nicht mehr nötig. „In einer halben Stunde müsste er hier sein“, bemerkte sie nach einem Blick zur Wanduhr.
„Heißt das du, wirfst mich raus?“
Zienna lächelte honigsüß. „Wenn’s dich nicht stört …“
„Natürlich bin ich tief gekränkt“, behauptete die Freundin und presste eine Hand auf ihr Herz.
„Darüber wird Elliott dir hinweghelfen.“
Mittlerweile trug Alexis wieder den Verlobungsring, den Elliott ihr zurückgegeben hatte. Zu Weihnachten wollten sie heiraten.
Sie nahm das benutzte Geschirr vom Couchtisch und spülte es. Dann gab sie Zienna einen Abschiedskuss. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Fünfzehn Minuten, nachdem Alexis gegangen war, läutete es. Zienna ging zur Sprechanlage und atmete tief durch. „Hallo?“
„Ich bin’s“, erklang Wendells Stimme.
Zienna ließ ihn herein. Ein paar Sekunden später hörte sie ein Klopfen und öffnete die Wohnungstür. In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge.
Für eine kleine Weile schauten sie sich schweigend in die Augen, bis Wendell leise seufzte. „Hey.“
„Gleichfalls hey.“
„Wenigstens siehst du jetzt besser aus als im Krankenhaus.“ Vorsichtig berührte er ihre Wange. „Da hat Nicholas dir verdammt übel mitgespielt.“
„Komm rein“, bat sie und trat zurück.
Wendell folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie aufs Sofa sank, während er sich ihr gegenüber in den Lehnstuhl setzte.
Auch jetzt dauerte es eine Zeit lang, bis das Schweigen gebrochen wurde. Der wahnwitzige Stress der letzten Tage und Wochen forderte seinen Tribut.
„Nicht zu fassen“, begann Wendell schließlich. „Nick – hinter Gittern. Da glaubt man, jemanden zu kennen …“
„Am Morgen nach seiner grausigen Tat besuchte ich ihn im Krankenzimmer. Da sagte er, die Eifersucht sei ein hässliches Gefühl undkönne einen Menschen zu unvorstellbaren Taten treiben. Damit meinte er dich. Aber ich vermute, in Wirklichkeit sprach er von sich selbst. Niemals in tausend Jahren hätte ich ihm zugetraut, dass er sich selbst verletzen würde, nur um dich in den Knast zu bringen. Und wie er dann über mich herfiel …“ Über Ziennas Rücken rann ein kalter Schauer, als sie sich an die furchtbare Szene erinnerte.
„Er hat vor lauter Eifersucht den Verstand verloren. Und was seine Psyche betrifft, war er schon immer labil.“
Damit hatte Wendell sicher recht. Trotzdem wandte sie ein: „Nur meinetwegen ist er
Weitere Kostenlose Bücher