Lust kennt kein Tabu
fühlen Sie sich heute Morgen?“
Um zu erkennen, wie unzufrieden er war, brauchte sie nur ein paar Sekunden. Er hatte seine Lippen zu einem dünnen Strich verzogen und seine Augen glitzerten eisig.
„Sie sagten, ich würde keine Schmerzen mehr kriegen, Miss Thomas“, warf er ihr vor.
„Gibt es wieder Probleme mit Ihrem Fußknöchel?“
„Offensichtlich bin ich deshalb hier. All diese Übungen haben wir gemacht. Und Sie sagten, mir würde nichts mehr wehtun. Aber es tut weh! Also haben Sie mich belogen.“
Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, sich zu beruhigen und wartete kurz, bevor sie antwortete. Donald war ziemlich aufgebracht, und sie wollte ihn nicht noch mehr erzürnen. „Sicher erinnern Sie sich, was ich Ihnen erklärt habe“, begann sie in sanftem Ton. „Zusätzlich zur Akupunktur und unserer Korrekturarbeit sollten Sie daheim zur Kräftigung weiterhin die Übungen absolvieren, die ich entwickelt habe. Soviel ich weiß, ging es Ihnen allmählich besser. Dann haben Sie Ihre Termine für die letzten Wochen abgesagt, und jetzt spüren Sie das Resultat dieser Entscheidung.“
Zienna hatte sich bemüht, Donald klarzumachen, die Heilung seiner verletzten Achillessehne sei erst zur Hälfte erfolgt. So wie viele Patienten hatte er irrtümlich geglaubt, sobald er sich besser fühlte, wäre er völlig genesen.
„Davon will ich nichts hören!“, stieß er hervor. „Sie haben mich belogen. Das wissen Sie ganz genau!“
Warum war er bloß so wütend? Und dann dachte sie an seinen ersten Termin. Damals hatte sie Zorn und Angst in seinem Körper gespürt. Dadurch waren die Schmerzen verstärkt worden. Sie behandelte ihre Patienten nach den Prinzipien der ganzheitlichen Medizin, die eine Einheit von Körper, Seele und Geist anstrebte. Auch Emotionen musste man berücksichtigen, wenn eine vollständige Heilung erzielt werden sollte.
Aber Donalds Zorn war zurückgekehrt, und das würde ihm nicht helfen.
„Mal sehen, was los ist.“ Zienna trat näher zu ihm. „Strecken Sie bitte Ihr Bein aus.“
„Also wollen Sie wieder mit Ihrem verdammten Hokuspokus anfangen.“ Erbost stand er von der Liege auf. „Mit Ihnen bin ich fertig. Ich bin nur hier,um Ihnen zu sagen, dass ich mein Geld zurückverlange. Alles. Und wenn das Center nicht zahlt, werde ich es verklagen.“
„Aber Sie waren zufrieden mit der Behandlung“, entgegnete sie verblüfft. So glücklich war er gewesen. Beim letzten Termin hatte er sie umarmt, als wollte er sie nie mehr loslassen, und ihr danach einen Blumenstrauß geschickt. „Wie ich bereits sagte, haben Sie die notwendigen Übungen nicht abgeschlossen …“
„Ich will mein Geld zurück!“, schrie er. „Das brauche ich! In fünf Tagen!“ War das sein Problem? Schulden, die er nicht begleichen konnte? Eine Hypothek, die er in diesem Monat nicht abzutragen vermochte?
„Bitte, Donald, Sie müssen verstehen …“
„Fünf Tage!“
„Ich werde mit Margaret reden.“ Damit meinte sie die Eigentümerin und Cheftherapeutin des Instituts. „Vielleicht lässt sich etwas machen …“
„Tun Sie das! Bevor ich in alle Welt rausposaune, was für ein Quacksalberladen das ist!“
Dann stapfte er zur Tür und riss sie auf. Offenbar hatte Jamie sein Geschrei gehört, denn sie stand davor. Als er sie zur Seite stieß, verlor sie das Gleichgewicht und stürzte beinahe.
Sichtlich verstört richtete Jamie sich auf. Ihr Blick irrte zwischen Zienna und Donalds Rücken hin und her. „Was war denn los?“, fragte sie, nachdem er hinter einer Ecke verschwunden war.
„Er war völlig außer sich“, erklärte Zienna. „Da er eine Fortsetzung der Therapie abgelehnt hat, kamen die Schmerzen wieder.“
„Bist du okay?“, fragte Jamie.
Zienna nickte. „Ja, nur etwas durcheinander. Und du? Hast du dich verletzt?“
„Nein, aber – verdammt, der Typ ist nicht normal.“
„Ist Margaret bei einem Patienten?“
„Ja.“
Zienna beschloss, der Chefin eine Voicemail zu schicken und sie um ein Gespräch zu bitten. Möglichst bald. „Danke, Jamie.“
„Kann ich irgendwas für dich tun?“
„Nein, alles in Ordnung.“
Davon war Jamie nicht überzeugt, was ihre Miene unverhohlen bekundete. Doch sie ging ohne ein weiteres Wort davon.
Zienna kehrte in ihr Büro zurück und setzte sich an den Schreibtisch. In ihrem Nacken spürte sie bereits die Anspannung, die der stressige Zwischenfall verursacht hatte. Sie hasste Konflikte, hasste es, Menschen zu enttäuschen. Vor allem, wenn es um
Weitere Kostenlose Bücher