Lustig, lustig, tralalalala
in ein Orgel- und Trompetenkonzert oder wenigstens schön essen und danach zum Tanzen auf eine Party voller einsamer Menschen, die sich gemeinsam vormachten, auf die Feiertage zu pfeifen. Später war er dann, nachdem er zu Hause vorgeglühweint hatte, direkt in den Club getigert, in dem die Chance am größten war, jemanden abzuschleppen. Mit der Zeit wurden seine Heiligabendbeschäftigungen aber immer abstruser. Das ging vom Pokerabend im Internet bis zum DV D-Marathon -Gucken aller Zombiefilme von George Romero.
Einen vorläufigen Tiefpunkt markierte meiner Meinung nach sein Einfall, den 24. Dezember in einem Chinarestaurant bei Ente süßsauer zu begehen. In dem Glauben, Chinesen feierten keine Weihnachten, hatte er das für die zuverlässigsteMethode gehalten, sämtlichen Sentimentalitäten aus dem Weg zu gehen. Er hatte nicht mit der Freundlichkeit der Asiaten gerechnet. Die Wirtsleute hatten, um es ihren deutschen Gästen schön heimelig zu machen, den ganzen Raum mit kletternden Nikoläusen und klumpigen Wattebäuschen dekoriert. Auf jedem der rot eingedeckten Tische, zwischen abwaschbaren Sets, auf denen wahlweise Seerosen, Entchen oder verzweifelt ihre zu langen Ärmel in die Höhe haltende chinesische Damen zu sehen waren, stand ein kleines Plastikweihnachtsbäumchen, dessen batteriebetriebene Leuchtdioden alle fünf Sekunden die Farbe wechselten.
Da sie verstanden hatten, dass Weihnachten gar nichts ist ohne einen gewissen Alkoholkonsum, war Karl zur Begrüßung sofort ein Pflaumenwein serviert worden. Da war das Bäumchen gerade auf Lila gewesen, und er hatte sich noch nichts dabei gedacht. Den Begrüßungstrunk gab es ja mittlerweile in vielen Gaststätten. Fast so, als wolle man den Gast sicherheitshalber an den Tisch nageln, bevor er die Speisekarte las. Den zweiten, eindeutig aus der Reihe tanzenden und ausdrücklich für den besonderen Anlass kredenzten Gratisschluck stellte man ihm neben die Suppe, verbunden mit den herzlichsten Glückwünschen zur Geburt von Jesus Christus. Nach dem Essen, also knappe hundert Grüns, Blaus und Lilas später, stellten sie ihm das dritte Gläschen süßen Obstlikörs vor die Nase mit den Worten: «Heute geht auf Haus.» Karl bedankte sich artig, hob das Gläschen und hapste es weg. Daraufhin wurde hinter der Theke hektisch geflüstert, und man kam offenbar zu dem Schluss, der Gast habe durch das Heben des Glases signalisieren wollen, man möge mit ihm anstoßen, was man fatalerweise ignoriert habe. Schnell waren fünf weitere Gläser, diesmal doppelt so hoch, mit Pflaumenwein gefüllt, und die gesamteBelegschaft, bestehend aus dem Koch, einer Küchenhilfe, einer Tresenkraft und dem Kellner, kamen an seinen Tisch, um mit ihm anzustoßen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Karl zu Hause den Nachmittag mit Prosecco begonnen und bis zum frühen Abend bereits zwei halbe Liter Winterbier, das gab es schließlich nur im Dezember, gezischt hatte, dann mit sich übereingekommen war, er müsse nun dringend etwas essen, und im Restaurant aus purer Gewohnheit noch ein drittes Bier bestellt hatte, diesmal eins aus Singapur.
Spätestens in dem Moment, als der Wirt, nachdem alle die Gläser wieder abgestellt hatten, grinsend eine neue Flasche hinter dem Rücken hervorzauberte und nochmal nachschenkte, «Zu Feia von heilige Dag», wünschte sich Karl sehnlichst, die Tür möge sich öffnen und eine Busladung voller Touristen zöge die Daueraufmerksamkeit der barmherzigen Weihnachtskobolde von ihm ab. Aber die Tür blieb zu, und die Flasche wurde geöffnet.
In den Augen seiner neuen Weihnachtsfreunde musste er ein sehr einsamer Mensch sein, denn er blieb der einzige Gast an diesem denkwürdigen Abend. Also versuchte man ihn aufzuheitern mit einer in Tannenform geschnitzten gebackenen Banane und noch einem, dem mittlerweile fünften Pflaumenwein. Den lehnte Karl ab, woraufhin hinter der Theke wieder hektisches Gemurmel entstand. Nun fühlte Karl sich schlecht. Ebenso die freundlichen Restaurantbetreiber. Schließlich kramte der Koch ein ganz besonderes Fläschchen aus dem Geheimwok: Selbstgebrannter vom Onkel aus Hanoi. Es stellte sich heraus, dass die Chinesen Vietnamesen waren und der Schnaps von allen gleichzeitig durch lange Bambusröhrchen aus einer braunen Tonvase geschlürft wurde, um die man einen Kreis bildete. Wer kann dazu schon nein sagen? Karl konnte esnicht. Ebenso wenig wie zu der Aufforderung, sich am Karaokesingen zu beteiligen. Schon gar
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