Lustig, lustig, tralalalala
für ihre Liebe bräuchten, aber das sei schon lange her. Kurz nach der Hochzeit hatte sie dann ihr wahres Gesicht gezeigt. Ein schlimmes natürlich. Sie war unzufrieden, mürrisch, nörgelte an allem herum, und nichts war ihr gut genug.
Das alles hatte ich selbstverständlich schon tausendmal in irgendwelchen Frauenmagazinen gelesen, die Ratschläge, was eine Frau tun sollte, wenn sie so etwas hört, die kannte ich auch. Dass sie die Beine in die Hand nehmen und abhauen soll.
Aber ich reagierte natürlich so wie die zigtausend anderen Frauen in dieser Situation: Ich hörte ihm zu, ich nickte verständnisvoll, und ich sagte hin und wieder: «Ach, du liebe Güte», oder: «Das hast du nicht verdient.» Ich fragte auch: «Warum lässt du dich nicht scheiden?», und erntete einen waidwunden Blick und die Worte: «Das will ich ja. Ich werde es ihr bald sagen. So geht es nicht mehr weiter. Aber ich brauche Zeit.»
Das also war vor drei Jahren und vier Monaten gewesen.
Und Clemens hat sich immer noch nicht von seiner Frau getrennt, obwohl es täglich schlimmer wird mit ihr, wie er nicht müde wird, mir zu versichern. Natürlich habe ich Mitleid mit ihm, aber andererseits finde ich auch, dass nun genügend Zeit vergangen ist und er sehr wohl mal eine Entscheidung treffen kann. Ja, ich weiß, die Kinder. Sie sind zehn und acht und hängen an ihrem Vater. Es sind hübsche Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Clemens hat mir Fotos gezeigt. Ich habe natürlich «Reizend» gesagt.
Und heute ist der 24. Dezember. Meine Antwort war wie immer «Kein Problem», als Clemens mir eröffnet hat, dass er es an den Feiertagen vermutlich nicht schaffen wird, zu mir zu kommen. Trotzdem habe ich vorsichtshalber eingekauft, und im Ofen gart ein Perlhuhn vor sich hin. Ich kann nämlich sehr gut kochen. Clemens’ Frau nicht. Eigentlich kann sie gar nichts. Ich stelle mir diese Sybille als keifendes, verhärmtes Waschweib vor, das nichts zu schätzen weiß und eine schrille Stimme hat. Und nur weil Clemens ein so gutmütiger Mann ist, ist er noch bei ihr. Wegen der Kinder natürlich auch.
Andererseits wäre das doch nicht die erste Ehe mit Kindern, die geschieden wird.
Weil ich nicht sonderlich viel zu tun habe – die Wohnung ist geputzt, die Wäsche gewaschen und gebügelt –, sitze ich also hier und versuche, den Randgruppen-Artikel zu schreiben.
Draußen wird es langsam dunkel. Natürlich hätte ich zu meinen Eltern fahren und feiern können, die ganze Familie ist da, aber immerhin könnte es ja sein, dass Clemens sich doch für eine Stunde freimachen und vorbeikommen kann, und wie soll ich dann so schnell von Bremen nach Hamburg kommen? Schon gar nicht bei diesen Witterungsverhältnissen. Also verbringeich den Heiligen Abend, seitdem ich Clemens kenne, in meinen eigenen vier Wänden, höre Klassik Radio und schaue später einige Filme. An Silvester dasselbe, nur dass da keine Weihnachtsmusik im Radio mehr läuft, aber dafür im Fernsehen
Dinner for One,
die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin und Dokumentationen über die Herstellung von selbstgemachten Meisenknödeln auf einem ökologischen Resthof im Harz. Als ich ganz kurz mit Clemens zusammen war, also vier Monate nach unserem Kennenlernen, da hatte er an Silvester nämlich auch keine Zeit, und ich bin auf eine Party gegangen. Kurz vor Mitternacht rief er an und meinte, er könne später noch vorbeikommen, und ich bin acht Kilometer zu Fuß nach Hause gerannt und habe den Jahreswechsel an einer roten Ampel stehend erlebt, immer mit der Angst im Nacken, Clemens könnte schon vor meiner Tür stehen und ich noch nicht da sein. Um drei Uhr morgens rief er an und meinte, es würde doch nichts werden. Die Kinder, die Kinder. Julius hatte Bauchschmerzen vom fetten Fondue, und Cora hatte zum hundertsten Mal
Findet Nemo
geschaut, sich vor den Fischen gegruselt und konnte nicht einschlafen. Das würde ich ja wohl verstehen, dass er es da nicht übers Herz brächte zu gehen?
«Sicher», hatte ich gesagt. Mir war nach zwei Flaschen Wein sowieso alles egal. Auch dass meine Freundinnen damals anfingen, mir zu erzählen, dass ich ja wohl einen Riss in der Schüssel hätte. Das weiß ich selbst.
Es ist frustrierend, den Heiligen Abend und die Feiertage alleine zu Hause zu verbringen, wenn man nur den bedingten Hoffnungsschimmer hat, dass der, den man liebt, auf einen Sprung vorbeikommen könnte, was im Übrigen in all den Jahren noch nie vorgekommen ist. Und ich weiß jetzt
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