Lustig, lustig, tralalalala
umgebunden und die Kapuze aufgesetzt hat, verabschiedet sich Ellen, die schon zu ihren Eltern weitermuss, und ich gehe mit Inge Behrendt, der Nachbarin, die uns freundlicherweise ihre Wohnung zur Verfügung gestellt hat, noch ein Stockwerk höher, wo es schon recht laut zugeht. Klar, die Kinder warten auf den Weihnachtsmann beziehungsweise die Geschenke. Ich atme nochmal tief durch und denke: Auf in den Kampf!
Später sitze ich mit den Müttern in der Küche und erhalte ein, wie sie finden, sehr verdientes Glas Rotwein, denn ich habe meine Sache gut gemacht.
«Als wären Sie Profi», gackert eine Blondierte, und ich schaue schon wieder auf die Uhr und auf mein Handy, um bloß keinen Anruf von Clemens zu verpassen. Aber es tut sich nichts.
«Freut mich, dass es Ihnen gefallen hat.» Ich proste den Frauen zu, und eine, nämlich die, die hier in dieser Wohnung wohnt, setzt sich neben mich. Sie ist sehr attraktiv, hat schwarze Locken und rote Lippen und weiße Haut, ein bisschen so wie Schneewittchen, auch wenn diese Dame hier älter ist und nicht in einem Glassarg liegt.
«Bleiben Sie doch noch ein bisschen», schlägt sie mir vor.
«Ich würde gern, aber mein Freund kommt später noch vorbei», sage ich und nehme noch einen Schluck.
Sie lacht auf, und ihre blauen Augen blitzen. «Haben Sie es gut. Mein Mann musste kurzfristig geschäftlich verreisen. Und das an Weihnachten, stellen Sie sich vor. Zum Glück haben wir einen großen Freundeskreis, sonst hätte ich allein hier gesessen. Bleiben Sie doch zum Essen. Ich habe so viel gekocht, dass es für hundert Leute reicht, und ich würde mich wirklich freuen.» Sie zwinkert mir zu. «Ihr Freund kann gern auch noch vorbeikommen.»
Ich bin immer noch unschlüssig.
«Wann wollte er denn bei Ihnen sein?», fragt das Schneewittchen.
«Das weiß ich noch nicht, also, das weiß er noch nicht.»
«Dann rufen Sie ihn doch an.»
Ja, das würde ich gern, aber das geht ja nicht.
«Ach …», sage ich wieder.
«Sie können es sich ja überlegen. Da fällt mir gerade ein, in der ganzen Hektik habe ich mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Sybille von Schlieffen.»
Bevor ich mit dem Stuhl umkippen möchte, sagt sie dann noch: «Wir können uns auch duzen. Wir duzen uns ja alle hier.»
Fünf Minuten später – ich habe etwas davon gefaselt, heute zu wenig Wasser getrunken zu haben und deswegen hätte ich Kopfschmerzen und bräuchte einen Moment Ruhe – stehe ich im Badezimmer von Sybille von Schlieffen und starre mein Spiegelbild an. Es ist noch keine zwei Stunden her, dass ich dieses Spiegelbild in meinem Flur zuletzt gesehen habe, aber es hat sich rapide verändert. Ich bin aschfahl, habe schwarze Ringeunter den Augen, und meine Wimperntusche ist verschmiert, weil ich in diesem Weihnachtsmannkostüm so geschwitzt habe.
O mein Gott! Ich befinde mich in Clemens’ Wohnung, genauer gesagt in seinem Badezimmer.
Er benutzt eine elektrische Zahnbürste, da steht so ein Apparat. Das hat er mir noch gar nicht erzählt.
Und da hängen vier Bademäntel. Der von Sybille, die beiden von den Kindern und seiner. Er ist dunkelgrün und aus Frottee.
Ich wusste nicht, dass Clemens einen Bademantel besitzt. Woher auch? Er hat ja nie bei mir übernachtet.
Er musste ja immer nach Hause zu der widerlichen Sybille, die aussieht wie eine Matrone und nicht kochen kann.
Die er verlassen will, bald schon.
Nun, es sieht nicht so aus.
Ich darf jetzt nicht durchdrehen.
Ich hasse Clemens A. von Schlieffen.
Und ich frage mich, wo er jetzt eigentlich ist.
Er hat mich angelogen. In jeder Hinsicht.
«Clemens ist ständig unterwegs», erzählt mir Sybille beim zweiten Glas Wein. «Jetzt musste er nach Dubai. Er ist Bootskonstrukteur und entwirft diese riesigen Yachten, von denen man immer Fotos in der
Gala
und in der
Bunten
sieht. Und die Eigner, die nehmen keine Rücksicht darauf, ob Weihnachten ist oder nicht. Er kommt erst nach Weihnachten zurück, aber dann fliegen wir alle für zwei Wochen in die Schweiz. Da haben wir eine Skihütte. Ich freue mich schon sehr, und die Kinder auch.»
Dass Clemens Bootskonstrukteur ist, wusste ich auch nicht.Er meinte immer nur, er sei selbständig. Warum hab ich nicht gefragt? Ach, ist ja auch egal.
Das Schlimme ist, dass ich Sybille mag. Sie ist mir sehr sympathisch, und das macht die Sache noch komplizierter.
Wo ist Clemens?
Ich glaube, ich habe ein paar Minuten unter Schock gestanden, sonst wäre ich nicht einfach so aus
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