Lustig, lustig, tralalalala
schon, dass Clemens es bedauern wird, nichts von meinem Perlhuhn gegessenzu haben, dessen Überreste ich spätestens übermorgen in den Mülleimer werfen werde.
Wenn er mir ja wenigstens mal etwas Schönes schenken würde. Aber Sybille kontrolliert die EC- und Kreditkartenabrechnungen, und es würde doch auffallen, wenn da plötzlich ein großer Betrag von einem Juwelier abgebucht würde, nicht wahr?
Ein einziges Mal hab ich ihn gefragt, warum er denn nicht bar bezahlt, aber er meinte: «Das macht doch heutzutage keiner mehr.»
Wenigstens einmal hat er mir was geschenkt. Eine Kette mit einem goldenen Herzen dran. Er hat sie in einem Antiquitätengeschäft gesehen und sie mir gekauft, hat er gesagt. Wie er bezahlt hat, hab ich nicht gefragt, weil ich so froh war, überhaupt mal was bekommen zu haben. Und er tat so, als hätte er mir die Pyramiden von Gizeh geschenkt. Jedenfalls habe ich daraufhin das Geschenkethema nicht mehr erwähnt, auch weil ich nicht ungewollt beschenkt werden wollte.
Geschenke, die mussten schließlich von Herzen kommen, und ein Herz hatte ich ja jetzt. Auch wenn es nur an einer Kette hing. Aber schön war es trotzdem. Clemens hatte Geschmack.
«Bitte mach mir keine Vorwürfe», sagt Clemens eine halbe Stunde später am Telefon zu mir. «Das kann ich jetzt so gut brauchen wie ein Loch im Kopf. Ich kann mich unmöglich loseisen. Hier ist die Hölle los. Meine Schwiegereltern sind nur am Meckern, meine Eltern schweigen, was fast noch schlimmer ist, und Sybille hat es tatsächlich fertiggebracht, nichts für Heiligabend einzukaufen. Jetzt können wir schauen, was wir noch in der Tiefkühltruhe haben. Mach du dir doch einfach einen gemütlichen Abend, auf RTL gibt’s doch bestimmt diesen Santa-Claus-Film. Den schaust du doch immer so gern.»
«Ich kann ihn nicht mehr sehen», erwidere ich halb resigniert, halb gereizt. «Und ich hab ihn in den vergangenen Jahren nur gesehen, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte.»
«Vielleicht schaff ich’s ja später doch noch», schmeichelt Clemens mir. «Lust auf dich hätte ich schon … Leg doch schon mal die roten Strapse raus.»
Da ich es überhaupt nicht einsehe, jetzt die Strapse rauszulegen, weil sie sowieso vereinsamen werden, sage ich nichts, was Clemens allerdings zu der Vermutung veranlasst, ich sei so scharf auf ihn, dass mir schlicht die Worte fehlen.
«Stell Champagner kalt», flüstert er, und ich nicke, obwohl er das ja gar nicht sehen kann. Außerdem steht immer eine Flasche davon im Kühlschrank. Manchmal viel zu lange. «Ich melde mich, mein Schatz.» Mit diesen Worten legt er auf.
Ich stehe auf und schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach drei und wird schon wieder dunkel. Irgendwo läuten Kirchenglocken, klar, die Gottesdienste für die Kinder beginnen ja gleich. Trautes Familienglück erst während der Predigt, dann strahlende Kinderaugen unterm Tannenbaum, es duftet gut, man sitzt gemütlich beisammen und hat es gut. Okay, bei Clemens ist es ja immer ein Drama mit dieser Sybille, deswegen verstehe ich es noch weniger, dass er sie nicht verlässt.
Das Perlhuhn ist jetzt schon fertig, wie ich feststelle, nachdem ich in die Küche gegangen bin, und ich schalte den Ofen aus.
Ich habe keine Lust zu schreiben.
Und es ist noch nicht mal früher Abend.
Wie soll ich diesen Tag und auch die folgenden beiden rumkriegen? Ich könnte mich heulend ins Bett legen, davor ziehe ich meinen Flanellpyjama an, der ist so weich und warm, und Clemens kommt ja heute sowieso nicht mehr. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Was soll ich tun? Ich kann mich doch nicht ständig betrinken.
Ich könnte in ein Restaurant gehen, aber dann kriege ich noch mehr das heulende Elend. Wer geht schon an Heiligabend aus? Nur Leute, die niemanden haben.
Ich gehe langsam ins Wohnzimmer zurück und bleibe dann vor dem großen Spiegel im Flur stehen. Ich werde nächstes Jahr vierundvierzig, aber das sieht man mir wirklich nicht an. Ich habe wenige Falten (noch – wenn es so weitergeht, werden es mehr werden), meine Haare sind leicht gelockt und dunkelbraun (ja, ich färbe den Ansatz nach, aber das muss ja nicht jeder wissen), und ich zwinge mich dazu, dreimal pro Woche in mein verhasstes Sportstudio zu gehen, weswegen auch meine Figur gut ist. Na ja, gut ist vielleicht übertrieben, sagen wir mal so: Sie ist ihrem Alter entsprechend akzeptabel. Ich bin nicht dünn, eher rundlich, aber das ist ja auch nicht schlimm, und die Medien erzählen
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