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Lustig, lustig, tralalalala

Lustig, lustig, tralalalala

Titel: Lustig, lustig, tralalalala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Morgowski
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streckte, fing ich an zu husten und nach Luft zu schnappen. Genau diesen Moment der absoluten Hilflosigkeit nutzte sie aus, um mich auf Gesichtshöhe zu wuchten und mich mit saugnapfähnlichen, überaus nassen Küssen zu übersäen. So muss es sich anfühlen, wenn man plötzlich in der Tiefsee von einem der sagenumwobenen Riesenkraken attackiert wird. Zwischen den einzelnen Küssen fand sie allerdings immer noch die Zeit, mich mit unzähligen verbalen Liebkosungen und spitzen Freudenschreien zu überhäufen, durch die ich bis heute an einem leichten Hörschaden leide. Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte sie dann einen an Leib und Seele gebrochenen Roberto wieder auf dem Boden ab. Aber abgesehen davon liebte ich meine Großmutter abgöttisch, und weil ich ja wusste, dass sie es nicht böse meinte, konnte ich es ihr nachsehen. Dennoch hoffte ich darauf, dass sie sich für das Abschiedsprozedere einen meiner Brüder aussuchen würde.
    Außerdem war ihr Begrüßungszeremoniell nichts im Vergleich zu dem von Onkel Luigi. Onkel Luigi ist der jüngere Bruder meines Vaters und lebte damals noch mit meiner Großmutter, die ja auch seine Mutter war, im selben Haus. Das war und ist für alleinstehende italienische Männer nichts Ungewöhnliches. Wie alt Onkel Luigi damals war, kann ich nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie alt er heute ist. Bei manchen Menschen kann man das Alter nur schwer schätzen. Ich traue mir zu, sein momentanes Alter zwischen sechzig und achtzig anzusiedeln, mit anderen Worten: genauso alt, wie ich ihn damals auch schon geschätzt habe. Das ist aber freilich nur theoretischmöglich, weil Onkel Luigi der jüngere Bruder meines Vaters ist, und der war damals schließlich höchstens fünfundvierzig. Wie auch immer: Onkel Luigi sah in meiner Erinnerung genauso aus wie heute. Also gehört er entweder zu den Menschen, die nicht altern, oder zu denen, die als Kind schon so aussehen wie ihr eigener Großvater. Da wäre allerdings auch noch Variante drei. Vielleicht hat Onkel Luigi ja auch ein klein wenig nachgeholfen, um den Eindruck zu erwecken, er habe sich irgendwann entschieden, nicht mehr älter zu werden. Quasi ein italienischer Oskar Matzerath. Schönheitskorrekturen sind bei italienischen Männern im Übrigen nichts Außergewöhnliches und beschränken sich bei weitem nicht nur auf die dortigen Regierungschefs. Die Idee dahinter ist wohl: Wenn man mit Mitte fünfzig noch bei Mutti wohnt, dann will man sich wenigstens ein bisschen hübsch machen für sie.
    Bei Onkel Luigi beschränken sich diese Korrekturen allerdings – wenn überhaupt – auf das Färben seiner Haare. Jedenfalls ist sein Haar auch heute noch pechschwarz. Zugegeben: Abgesehen davon ist auch um seine Augen herum nicht die Spur eines Fältchens zu erkennen, was aber weniger an sorgfältiger Pflege als vielmehr an seiner großen, ebenfalls pechschwarzen Sonnenbrille liegt, die er niemals, wirklich niemals absetzt. Soweit ich weiß, hat er sogar in seinem Testament verfügt, dass er auch im Falle seines hoffentlich noch fernen und hoffentlich natürlichen Todes mit seiner Sonnenbrille auf der Nase aufgebahrt wird. In Italien ist es eben sehr wichtig, bis zum Ende
bella figura
zu machen. Wobei
bella figura
im Falle meines Onkels vor allem bedeutet:
grande figura
. Er ist nämlich groß, und zwar in alle Richtungen. Um einen Eindruck von seinen Dimensionen zu bekommen, hilft vielleicht die Vorstellung, dass mein Onkel von seinen Ausmaßen her eine Kreuzung aus einem Buckelwalund Pavarotti sein könnte, wobei Pavarotti dabei lediglich für das italienische Äußere verantwortlich wäre. Und genau diese imposante Erscheinung war es auch, die mich davon abhielt, ihn zu fragen, ob denn seine Haare nun gefärbt seien oder nicht. Ich will nicht sagen, dass mein Onkel ein brutaler Schläger war – zumindest uns Kindern gegenüber war er es nicht   –, aber sein Körpergefühl war im Gegensatz zu seinem Hungergefühl deutlich unterentwickelt. Und damit wären wir wieder beim schon erwähnten Begrüßungszeremoniell: War der Empfang durch meine Großmutter zwar demütigend, jedoch weitestgehend schmerzfrei, so verstand sich Onkel Luigi bestens auf die perfekte Symbiose aus Erniedrigung UND Schmerzen. Aber er tat es eben nicht aus bösem Willen, er konnte einfach nichts dafür: Genauso wie ein Elefant daran scheitern dürfte, ein Ei zu pellen, so scheiterte Onkel Luigi daran, ein Kind zu begrüßen – wobei ich mir beim Elefanten nicht sicher

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