Lustig, lustig, tralalalala
vereinsamen zu lassen. Gerade an Weihnachten solle niemand einsam sein müssen. Es war meinem Onkel schon klar, dass diese Gründe nur vorgeschoben waren, weil der Tierschutz auf Sizilien im Allgemeinen und bei meiner Großmutter im Besonderen überhaupt keine Rolle spielte. Ihr ging es einzig um den Dreck und Gestank, das war klar. Andererseits bedeutete der Verzicht auf Ochs und Esel schon einen erheblichen Attraktivitätsverlust für eine lebende Krippe. Da Onkel Luigi das Projekt aber nicht sterben lassen wollte, stimmte er dem Kompromissvorschlag meiner Großmutter, von dem noch die Rede sein wird, zu.
Als meine Eltern, meine Geschwister und ich hinter meiner
nonna
und Onkel Luigi das Haus betraten, roch es schon nach Weihnachten. Aber ich meine hier nicht den klassischen Weihnachtsgeruch nach Zimt, Nelken und Lebkuchen. Nein, ich rede hier von dem Weihnachtsgeruch, den man immer dann antrifft, wenn man sich entschlossen hat, eine lebendige Krippe im Wohnzimmer zu installieren. Denn selbst wenn man sich gegen die Anwesenheit von großen Paar- und Unpaarhufern entscheidet, so sorgen doch die anderen Bewohner der Krippe für eine unverwechselbare Duftnote im Eigenheim. Als OnkelLuigi mit einer feierlichen Geste die Wohnzimmertür öffnete, kam uns schon ein Schwarm Fliegen entgegen. Auch als zoologischer Laie weiß man, dass es kein gutes Zeichen ist, wenn der Gestank sogar Fliegen in die Flucht schlägt. Aber lange konnte ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen, weil sich unmittelbar nach den Fliegen der Gestank selbst den Weg nach draußen bahnte. Und eines ist klar: Wenn der Gestank vor seinem eigenen Gestank flieht – dann stinkt’s wirklich! Onkel Luigi war völlig unbeeindruckt von den Gerüchen. Stolz wie Oskar stand er in der Tür und deutete immer wieder mit weit ausladenden Armbewegungen zur Krippe hinüber, so wie man es aus dem Fernsehen kennt, wenn der Lord dem Enkel all seine Ländereien zeigt und dabei sagt: «Das wird später alles einmal dir gehören.»
Wenigstens auf diesen Satz verzichtete mein Onkel.
Er war offenbar fest entschlossen, den Ausfall der beiden Protagonisten allein durch das Prinzip Masse zu kompensieren und bei historischen Details nicht päpstlicher sein zu wollen als der Papst. Es sei denn, dass bei der biblischen Krippe von mehreren Dutzend Hühnern in Legebatterien die Rede war. Auch an Schlappohrkaninchen und ein Glas mit Goldfischen direkt neben der eigentlichen Krippe kann ich mich nicht erinnern. Die zwölf blökenden Lämmchen hingegen machten in meinen Augen durchaus wieder Sinn, es war mir lediglich unklar, warum es so viele sein mussten. Das konnte mir meine Oma schnell erklären:
«Oh, Roberto, weißte du, ware an die Anfange noch viel mehre, aber sinde die kleine Lamme, die
agnelli
, sinde die die personeliche Adventskalendere von deine Onkel Luigi. An jede Morge er komme und offne die Ture und hole sich eine. Und ich, deine gute
nonna
, mache ich jede Tag eine Lamme zudie Mittagesse fur Luigi. Und an die Heilige Abend, er hole die Schafe dahinte.»
Dabei zeigte sie auf ein Schaf, das in der hintersten Ecke des Zimmers stand und uns treudoof wiederkäuend anstarrte. Ich hörte erst wieder auf zu weinen, als ich eins von den Lämmchen geschenkt bekam und meine
nonna
mir versprach, dass dieses kleine Wesen auf jeden Fall das letzte sei, das in den Ofen käme.
Onkel Luigi ließ sich davon nicht irritieren und fragte stolz: «Unde? Was sage ihr jetzte, eh?»
Niemand sagte etwas. Meine Mutter wäre in ihrer resoluten und ehrlichen Art sicher nicht um einen Kommentar verlegen gewesen, aber da sie über einen außerordentlich sensiblen Geruchssinn verfügte, war sie ohnmächtig auf das Sofa gesunken und hatte sich dabei den Zorn zweier Enten zugezogen, die dort brüteten. Mein Vater konnte auch nichts sagen, weil er sich schließlich um seine Frau kümmern musste. Also gab sich mein Onkel die Antwort selber:
«Iste mit die großeste von die Abstande die aller von die beste von die lebendige Krippe von die ganze Welte!»
Und bevor auch nur einer von uns irgendetwas erwidern konnte, klatschte er vorfreudig in die Hände und sagte: «Aber nun genuge von die Gequatschte! Habe wir nix mehr so viele Zeite, eh! Müsse die
spettatori
, die Zuschauere, balde komme.
Avanti
, gehte ihr auf die
posizione
!
Avanti
!»
Er machte ein, zwei Schritte auf uns zu, zog zuerst Edoardo, meinen ältesten Bruder, zu sich herüber und führte ihn wie ein Kalb zur Schlachtbank.
Weitere Kostenlose Bücher