Lustig, lustig, tralalalala
Und genau das war er auch. Mein Bruder wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Onkel Luigi ihn neben der leeren Krippe anband und ihm befahl, auf alle viere zu gehen.
«So,
bene
, Edoardo, biste du unsere
asino
, die Esele!»
Vielleicht war es der Überraschungseffekt, vielleicht wirkten die Schlafmittel von der Fahrt auch noch ein wenig. Auf jeden Fall ließ Edoardo alles widerstandslos mit sich geschehen. Auch als meine Großmutter eine Möhre aus ihrer Schürzentasche holte und sie ihm in den fassungslos geöffneten Mund steckte, reagierte er nicht. Rückblickend bezweifle ich außerdem, dass Edoardo überhaupt registrierte, wie ihm Onkel Luigi gleichzeitig ein Paar Eselsohren aus Plastik überstülpte. Mein anderer Bruder, Enzo, war vor Schreck gelähmt. Er ahnte wohl, was auf ihn zukam, schaffte es jedoch nicht, zu fliehen. Ehe er sichs versah, fand er sich angekettet auf der anderen Seite der Krippe wieder. Zwar konnte unsere
nonna
Onkel Luigi davon abbringen, ihm einen Nasenring anzulegen, wie es sich für einen ordentlichen Ochsen gehört hätte, aber auf der schweren Kuhglocke um Enzos Hals bestand er.
Innerlich triumphierte ich: Endlich einmal konnte ich mich über meine älteren Brüder lustig machen. Genugtuung für all die Schmähungen und Schläge, die ich als Jüngster einstecken musste. Denn mir war klar: Wenn Ochs und Esel vergeben sind, dann kann mir nichts mehr passieren! Onkel Luigi war mein Held! Was für eine brillante Idee von ihm, eine lebende Krippe zu bauen mit meinen Brüdern als Supertrottel in der Hauptrolle! Und von den Eltern war keine Hilfe zu erwarten, weil sich mein nichtsahnender Vater mittlerweile im Nebenzimmer um meine Mutter kümmerte. Das war also der Kompromiss, zu dem sich mein Onkel durchgerungen hatte: Große Tiere: nein! Lebende Jungs: ja! Welche Freude, mich einfach gleich in die Reihe der Besucher einzuordnen und Enzo und Edoardo auszulachen! Und damit fing ich vorsichtshalber direkt schon mal an. Man konnte ja nie wissen, wie lange so ein rarer Augenblick anhielt.
Nicht lange.
Wenn ich damals ein wenig bibelfester, zumindest aber ein wenig kritischer gewesen wäre, dann hätte mir auffallen müssen, dass zwar der Bedarf dieser Krippe an Ochsen und Eseln, ja an Tieren überhaupt, gedeckt war. Aber bei genauer Betrachtung werden und wurden Krippen ja nicht gebaut, um Ochsen und Esel hochleben zu lassen, sondern um sich der Geburt Jesu Christi zu erinnern. Und worin wurde das neugeborene Kindlein gebettet? In eine Krippe! Und was lag in Onkel Luigis Krippe? Nichts!
Noch nichts.
Aber Onkel Luigi hatte mich schon im Visier:
«Ah, Roberto! Komme du her zu mir! Habe die Onkel Luigi eine kleine
sorpresa
, eine kleine Uberraschung fur du!»
Ich ahnte Schlimmes.
«Musst du
naturalmente
nix ohne die deine Brudere sei, eh!»
Das Problem war weniger die Krippe selber. Sie war sogar größer, als ich dachte. Onkel Luigi musste mich nur an den Seiten ein wenig hineinstopfen – fertig! Der Strampelanzug war das, was mich am meisten störte. Im Prinzip konnte man ihn getrost einfach als Anzug bezeichnen, denn strampeln konnte ich ja nicht.
Ich weiß nicht, wie lange all die Besucher geblieben wären, wenn meine Mutter sich nicht von ihrer Ohnmacht erholt hätte. Die Leute konnten sich gar nicht satt sehen an dem Anblick, den wir ihnen da boten. Als Onkel Luigi merkte, dass uns die anderen auslachten und seine Krippe nicht ernst nahmen, verkaufte er das Ganze kurzerhand als deutsche Tradition, die wir aus dem Allgäu mitgebracht hätten, was das Gelächter nur noch verstärkte. Aber dann kam ja zum Glück Mama wie von der Tarantel gestochen ins Zimmer geschossen, befreite uns ausunsrer misslichen Lage und überzog meinen Onkel mit einer Kanonade von schwäbischen Flüchen, die ich ihr niemals zugetraut hätte und deren genauere Bedeutung ich erst im Laufe der Pubertät verstand.
Bis heute kann ich mir zur Weihnachtszeit in der Kirche kein Krippenspiel anschauen. Ich würde mich sofort auf die Bühne stürzen, um die Kinder zu befreien. Ich kenne mich. Habe ich ja mit Onkel Luigis Lämmchen auch gemacht.
Roberto Capitoni
wurde 1962 in Isny im Allgäu als Sohn eines Italieners und einer Allgäuerin geboren und steht seit 1982 auf Deutschlands Bühnen. Im Oktober 2007 feierte er die Premiere seines dritten Comedy-Bühnenprogramms «Im Auftrag des Paten». Zusätzlich hat er T V-Auftritte u. a. in «Ottis Schlachthof» im Bayerischen Rundfunk, im «Quatsch Comedy Club»
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