Lustig, lustig, tralalalala
vom Laden mit der von der Veranstaltung verwechselt.
«Finde ich sowieso bescheuert», stellt mein Sitznachbar jetzt fest, «dass die Weihnachtsfeiern jedes Jahr früher losgehen. Demnächst fangen die schon im Hochsommer an!»
«Hier mal bitte kurz halten», unterbreche ich ihn Ecke Rentzelstraße. «Ich wohne hier und muss noch kurz was holen.»
«Hä?»
«Hab den Sack mit den Geschenken vergessen, ich Dussel», erkläre ich und springe aus dem Wagen. Nachdem der Weihnachtsmann mich gerettet und mir erklärt hat, er solle bei «Heuslers Herrenboutique» den Santa Claus geben, war für mich klar, dass ich mitkomme. Denen werde ich eine Weihnachtsfeier liefern, die sich gewaschen hat! Gut, dass meine Nachbarin einen Zweitschlüssel hat und auch da ist, als ich klingele.
«Hallo, Frau Schröder?!» Sie mustert mich verwundert, mein Aufzug lässt ja auch wirklich ein paar Fragen offen.
«Hätten Sie mal meinen Schlüssel für mich? Mir ist da ein kleines Malheur passiert.» Sie holt den Schlüssel und drückt ihn mir in die Hand.
«Na denn», meint sie grinsend, «schöne Bescherung!»
«Die wird’s wohl geben!»
In meiner Wohnung sammele ich eilig alle Sachen zusammen, die ich von Gunnar habe: ein Paar Unterhosen von ihm, Ohrringe, die er mir mal geschenkt hat, diverse Liebesbriefe, die Flugtickets für unseren geplanten Kurztrip nach Barcelona, gemeinsame Fotos aus den letzten Jahren und so weiter und so fort. Hektisch sehe ich mich nach etwas wie einem Sack um, in den ich die Sachen stopfen kann. Gibt keinen Sack, also nehme ich eine zerknitterte Aldi-Tüte. Für den Anlass mehr als passend, finde ich.
«Das ist dein Geschenkesack?», will der Weihnachtsmann irritiert wissen, als ich wieder zu ihm ins Auto steige.
«Ja», bestätige ich, «soll ein Gag sein.»
«Aha.» Er lässt den Motor wieder an und fährt los. «Über welche Agentur bist du denn gebucht?», fragt er, während er sich durch den dichten Verkehr am Dammtor-Bahnhof kämpft. Ich denke einen Moment lang nach.
«Weg vom Fenster», erwidere ich dann.
«Komischer Name.»
«Ho! Ho! Ho!» Rumpelnd stürzen wir in den Veranstaltungsraum, an dem draußen das Schild «Weihnachtsfeier Heuslers Herrenboutique» hängt. Im Halbdunkeln kann ich eine Runde von etwa dreißig Damen und Herren erkennen, Gunnar und seine Frau sitzen am Kopfende des großen Tisches. Er erkennt mich sofort, und ihm entgleisen die Gesichtszüge. Hektisch springt Gunnar auf und kommt auf uns zu.
«Sie, äh, Sie», stottert er, «Sie sind …»
«Der Weihnachtsmann und die Weihnachtsfrau», unterbreche ich ihn, nehme ihn beim Arm und führe den völlig verdatterten Gunnar zu seinem Platz zurück. «Und jetzt setzt euch alle hin, damit wir gucken können, ob ihr alle auch schön brav wart in diesem Jahr.» Die gesamte Runde lacht. Wartet nur ab, gleich gibt es noch viel mehr zu lachen!
Mein «Kollege» fängt an, mit tiefer Stimme ein schauderhaftes Gedicht über «Heuslers Herrenboutique» vorzutragen. Vortragen ist dabei wohlwollend formuliert, genau genommen liest er es stotternd von einem Blatt ab. Da hat Gunnar wohl den Dichter raushängen lassen, ein klappernder Reim jagt den nächsten: «Anzüge haben wir zur Genüge», «Man sieht es auf den ersten Blick, Qualität von Heuslers Herrenboutique». Aua. Ich kralle mich unterdessen an meine Aldi-Tüte und beobachte in aller Ruhe Gunnar und seine Frau. Meinem Liebhaber tritt der Schweiß auf die Stirn, wahrscheinlich befürchtet er das Allerschlimmste. Recht so! Wenn ich gleich meine Gaben aus dem Sack hole, wird er sich ganz schön umgucken! Seine Frau hingegen macht einen ziemlich entspannten Eindruck. Sie amüsiert sich über die klappernden Verse und kichert vor sich hin, während sie sich immer mal wieder über ihren schon ziemlich sichtbaren Bauch streichelt. Fünfter Monat, tippe ich, mindestens. Gunnar ist echt ein Schwein! Wie kann er mir das antun? Wie kann er IHR das antun?
«Und jetzt kommen die Geschenke!», kündigt der Weihnachtsmann mich wie im Auto besprochen an.
«Wie bitte?» Ich war für einen kurzen Augenblick abgelenkt.
«Die Geschenke!», wiederholt mein Kollege und schiebt mich mitsamt meiner Aldi-Tüte mitten in den Raum. Da stehe ich jetzt also, aller Augen sind auf mich gerichtet. Aber ich starrenur Gunnars Frau an. Zum ersten Mal sehe ich sie, das habe ich all die Jahre über vermeiden können. Sie sieht viel jünger aus, als ich gedacht hätte, beinahe wie ein kleines Mädchen.
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