Lustig, lustig, tralalalala
Frau.
«Natalie, was machst du denn hier?» Durch die Waben des Gitters kann ich beide nur schemenhaft erkennen. Hoffentlich wird das ein Kurzbesuch, ich habe nämlich wenig Lust, in meiner Unterwäsche in einem Schaufenster direkt am Eppendorfer Weg zu hocken. Während ich darüber nachdenke, wird mit schlagartig bewusst, dass ich mir vielleicht mal was überziehen sollte.
«Ich habe zu Hause auf dich gewartet, und dein Handy ist aus», höre ich Natalie erwidern, während ich mich hektisch nach etwas zum Anziehen umsehe. Aber meine Klamotten liegen im Laden, Gunnar hat sie noch mit einem schnellen Fußtritt unter das Sofa befördert.
«Ich bin so gut wie auf dem Weg», antwortet Gunnar. Ich kann hören, dass er nervös ist. Ich selbst bin allerdings auch alles andere als entspannt, draußen sehe ich ein paar Fußgänger, die sich dem Geschäft nähern, und ich schicke ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, dass sie mich nicht sehen. Mit zittrigen Fingern ziehe ich der Weihnachtsfrau ihren roten Mantel aus und werfe ihn kurzerhand über. Besser als nichts, mit ein bisschen Glück halten die Leute mich für eine Schaufensterpuppe.Nachdem ich wieder einigermaßen bekleidet bin, kann ich mich nun voll und ganz auf das Gespräch zwischen Gunnar und seiner Frau konzentrieren.
«Wie konntest du das vergessen?», stellt sie gerade in vorwurfsvollem Ton fest.
«Vergessen?», will er wissen. «Was denn?» Einen Moment lang ist es still, dann höre ich wieder Gunnar. «Ach, Mist, stimmt ja!», ruft er aus. «Die Weihnachtsfeier!» Weihnachtsfeier? Wir haben Ende Oktober! «Aber die fängt ja erst um sieben Uhr an, das schaffen wir doch noch gut.»
«Ich meine nicht deine blöde Kunden-Weihnachtsfeier!», brüllt Gunnars Frau jetzt so laut, dass das Schaufenster leicht vibriert.
«Meinst du nicht? Aber die ist doch heute Abend, oder?»
«Ja», bestätigt seine Frau. «Allerdings war heute um fünf noch etwas anderes!» Wieder einen Moment Schweigen. Und dann nimmt die ganze Sache plötzlich eine äußerst interessante Wendung.
«Liebling!» Gunnars Stimme überschlägt sich. «Oh, das tut mir wirklich sooo leid, ich war mit meinen Gedanken offensichtlich ganz woanders!» Ja, bei mir, denke ich. Aber noch interessanter finde ich die Frage: Wo hätte er denn sonst sein sollen? Die Antwort kommt schneller, als mir lieb ist.
«Das ist jetzt schon der zweite Arzttermin, den du vergessen hast», stellt Gunnars Frau fest. «Langsam habe ich den Eindruck, du freust dich gar nicht auf das Baby.»
«Natürlich freue ich mich!», widerspricht Gunnar. «Du weißt, dass ich mir genauso sehr ein Kind gewünscht habe wie du!» Baby? Kind? Arzttermin? Ich frage mich, ob ich das gerade alles richtig verstehe. Offensichtlich tue ich das. «Liebling», schmeichelt der Mann meines Lebens jetzt, «ich freue mich doch wieverrückt darauf! Nächstes Jahr sind wir endlich eine richtige Familie!» Ein Moment scheint Natalie noch zu schmollen, aber dann kommt Versöhnungsstimmung auf.
«Na, komm, du Chaot», erwidert sie lachend, «lass uns los, sonst verpasst du noch deine eigene Weihnachtsfeier!» Sekunden später höre ich, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht, kurz darauf sehe ich die beiden auf der anderen Straßenseite zu Gunnars Auto huschen. Bei mir selbst hat es gerade «O Tannenbaum» geschlagen. Was ist hier passiert? Habe ich Wahnvorstellungen? Die Sätze «Nächstes Jahr sind wir endlich eine richtige Familie» und «Ich schwöre, ich werde mich von ihr trennen, weil ich dich liebe» sind für mich nicht gerade deckungsgleich. Bin ich tatsächlich so eine blöde Kuh? Habe ich tatsächlich jahrelang geglaubt, dass Gunnar seine Frau für mich verlassen wird, während er mit ihr in Wahrheit schon längst die Kleinfamilie plante? Luzie Schröder, bist du wirklich genauso bescheuert wie die vielen, vielen anderen Frauen, die sich auf verheiratete Männer einlassen? Die Antwort lautet: Ja! Du bist so bescheuert! Vielleicht sogar noch ein bisschen bescheuerter!
Gut und gerne zehn Minuten lang sitze ich heulend in der Auslage und versuche, das alles zu verdauen. Es ist mir egal, dass immer mal wieder Leute vorbeikommen und mich irritiert mustern. Wahrscheinlich halten sie das für einen Werbegag. Sollen sie doch! Weinende Weihnachtsfrau präsentiert Herrenmode, wenn das mal nicht ein Verkaufsschlager wird. Ich widerstehe der Versuchung, alles kurz und klein zu schlagen. Obwohl ich schon gern Gunnars dummes Gesicht sehen würde, wenn er
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