Lustig, lustig, tralalalala
morgen früh vor den Trümmern seines Schaufensters steht. Fünf enthauptete Puppen, zerschmetterte Christbaumkugeln und eine zerrupfte Plastiktanne, und inmitten der Zerstörunglieg ich, mit gebrochenem Herzen. Ja, da soll er dann mal seiner Frau erklären, wieso da eine tote Schaufensterdekorateurin rumliegt, haha! Aber auch wenn ich einen Drang zur Dramatik habe – so weit würde ich dann doch nicht gehen, das ist Gunnar offensichtlich nicht wert.
Weitere zehn Minuten später wird mir langsam etwas fröstelig. Von draußen kriecht die Kälte durch die Fensterscheibe, die Heizung drinnen ist heruntergefahren. So langsam, aber sicher sollte ich darüber nachdenken, wie ich mich aus meiner misslichen Lage befreien kann. Was allerdings nicht so einfach ist, denn mein Schlüssel liegt im Laden, und der Weg ins Geschäft wird durch das massive Rollgitter versperrt. Von innen lässt es sich nicht öffnen, ich bin gefangen wie in einem Käfig. Toll! Das kann ja eine angenehme Nacht werden. Mein Handy habe ich auch nicht hier, sodass ich noch nicht einmal Hilfe rufen kann, und die letzten zwei Passanten, denen ich zugewinkt habe, haben lediglich zurückgewinkt. Halten mich wohl wirklich für einen Werbegag.
Zwar gibt es an der einen Seite des Schaufensters eine Tür, die in den Flur des Nachbarhauses führt – die ist nur leider von außen mit einem Vorhängeschloss gesichert. Trotzdem bollere ich ein paarmal hilflos dagegen, aber natürlich nützt das nichts. Wieder kommen zwei Fußgänger vorbei. Diesmal klopfe ich gegen die Scheibe und versuche, ihnen mit Händen und Füßen zu erklären, was los ist. Ich bin nicht so gut mit Händen und Füßen, die beiden lachen bloß und gehen dann weiter. Wie kann Gunnar nur so ein Arschloch sein? Lässt mich hier sitzen und kümmert sich nicht darum, dass ich wahrscheinlich die Nacht im Schaufenster verbringen muss. Er könnte doch zu seiner Frau sagen: «Moment, Liebling, ich muss noch einmal in den Laden, da sitzt noch meine Geliebte in der Auslage.» Haha!
Ich muss wohl für einen kurzen Augenblick weggedämmert sein, denn ich fahre hoch, als es von außen ans Fenster klopft. Jetzt habe ich auch noch Halluzinationen: Der Weihnachtsmann steht vor mir und drückt sich die Nase an der Scheibe platt.
«Hallo?», höre ich ihn leise rufen. Beziehungsweise ruft er laut, aber es kommt nur leise bei mir an. «Was machen Sie da?»
«Ich komme nicht raus!», brülle ich zurück. Wenn der Weihnachtsmann mir nicht helfen kann – wer dann? «Im Nebeneingang gibt es eine Tür!», schreie ich und deute wild gestikulierend auf die linke Seite. Der Weihnachtsmann sieht sich irritiert um, er scheint nicht zu verstehen, was ich meine. Ich hechte zur Seitentür und ruckele daran. Noch immer sieht Santa Claus aus, als würde er nur Bahnhof verstehen. «Versuchen Sie, in den Nebeneingang zu kommen!» Jetzt scheint er zu verstehen, jedenfalls verschwindet er aus meinem Gesichtsfeld, und ein paar Minuten später klopft es an die Seitentür.
«Hier?», höre ich dumpf seine Stimme.
«Ja», brülle ich zurück. «Können Sie das Schloss knacken?» Einen Moment lang höre ich nichts, dann macht er sich draußen am Vorhängeschloss zu schaffen.
«Moment», ruft er, «ich hab’s gleich!» Ich höre es knacken und klirren, tatsächlich öffnet sich kurz darauf die Seitentür.
«Vielen Dank!», sage ich und entsteige meinem Gefängnis. «Ich dachte schon, ich müsste bis Weihnachten hierbleiben.»
«Haben Sie schon angefangen?», will der Mann in dem roten Mantel und mit dem überdimensionalen weißen Bart von mir wissen.
«Angefangen?»
«Ich soll hier zu einer Weihnachtsfeier kommen.»
«Ach, Sie auch?»
«So was Blödes, jetzt hab ich schon wieder die Adressen verwechselt.» Der Weihnachtsmann und ich sitzen in seinem roten Mini-Cooper und düsen Richtung CCH, dem Congress Centrum Hamburg.
«Finde ich gar nicht so blöd», wende ich ein, «sonst wäre ich da nie rausgekommen.»
«Trotzdem kommen wir jetzt zu spät.» Nach meiner Rettung habe ich dem Weihnachtsmann eine wirre Geschichte erzählt, von wegen ich sollte als Weihnachtsfrau auftreten, wäre aus Versehen eingeschlossen worden und überhaupt. Klang wahrscheinlich total verrückt, aber er hat glücklicherweise nicht weiter nachgefragt. Gunnar hatte den Typen bei einer Kleindarsteller-Agentur gebucht, damit er heute Abend bei der Weihnachtsfeier seine Kunden ein bisschen bespaßt. Tja, und der Weihnachtsmann hat die Adresse
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