Lustnächte
zieht.“
„Wenn ihr euch später die unterirdische Kapelle anseht …“
„Ja?“
„Sieh dir die Fresken genau an. Auf einem ist Maria Magdalena dargestellt, wie sie das Heilige Land auf einem Schiff verlässt. Zu ihren Füßen liegt ein Sack. Vielleicht handelt es sich bei dessen Inhalt ebenfalls um diesen Schädel, der hier abgebildet ist. Nur dass dieses Fresko von den Templern geschaffen wurde. Wieso bringt der Abbé in seiner Kirche Maria Magdalena ebenfalls mit einem Schädel in Verbindung? Kannte er dieses unterirdische Fresko?“
„Es spricht einiges dafür. Ich werde es mir genau ansehen. Und da Pierre jetzt den letzten Rest Kaffee getrunken hat, können wir unslangsam auf den Weg dorthin machen, während du nach Rennes-les-Bains fährst. In Ordnung, Alter?“
„Ja.“ Je schneller Beatrix aus Jean-Lucs Nähe verschwand, umso besser. „Hier sind die Autoschlüssel.“
„Ich fahre mit dem Wagen von Jean-Luc.“
Pierre biss wieder einmal die Zähne zusammen. Es schien Jean-Luc nicht entgangen zu sein. Es klang fast entschuldigend, als er sagte: „Ich habe ihn ihr angeboten, weil sie in deiner Riesenkarre nicht übers Lenkrad sieht. Außerdem eignet sich der Geländewagen besser für unseren Ausflug in die Berge.“
Pierre hatte den Verdacht, dass Jean-Luc seine Gefühle nicht so ganz entgangen waren. Ließ er ihn vielleicht absichtlich zappeln?
Beatrix fand ohne Schwierigkeiten das Haus von Hélène Boudet und wurde überschwänglich begrüßt. So junge Leute verirrten sich selten zu ihr, erklärte sie und komplimentierte Beatrix in ihre gute Stube, die der von Madame Junot zum Verwechseln ähnlich sah. Unzählige Bilder längst verblichener Verwandter, Häkeldeckchen und Nippes zierten jeden möglichen Platz. Beatrix wurde in einen bequemen Ohrensessel gewiesen und für die Tageszeit vollkommen unpassend mit Kuchen und heißer Schokolade versorgt. Nachdem sie fast eine halbe Stunde lang die Neugier des alten Fräuleins mit Lügen über ihr junges Eheglück und die Schwangerschaft gestillt hatte, kam man endlich auf ihren Urgroßonkel Henri zu sprechen. Oh ja, er sei ein brillanter Schüler gewesen, der am Seminar von Carcassonne studiert habe und bereits mit vierundzwanzig Jahren sei er zum Priester geweiht worden, erklärte Mademoiselle Boudet.
„Als Jean Vie, der Pfarrer von Rennes-les-Bains starb, übernahm mein Großonkel dessen Nachfolge. Das war 1872. Aber seine ganze Liebe galt weiterhin seinen Studien. Er war ein richtiger Gelehrter, müssen Sie wissen. Er beherrschte perfekt Griechisch, Latein, Englisch und noch einige alte Sprachen. Sogar Aramäisch. Die Sprache, die unser Herr Jesu gesprochen hat. Und er liebte die Natur. Stundenlang wanderte er mit meinem Urgroßvater Edmond durch die Berge und Täler der Umgebung.“
Mademoiselle Boudet war sichtlich stolz auf ihren Ahnen.
„Schrieb er nicht auch Bücher? Ich hörte von einem Buch mit dem Titel
La vraie langue celtique
“, fragte Beatrix nach, um langsamauf Boudets Verbindung zu Saunière zu kommen.
„Oh ja“, antwortete Mademoiselle Hélène. „Aber sein Bischof hat vehement dagegen protestiert. Ein Amtskollege soll ihn damals angeschwärzt haben. Das Buch enthalte ein Geheimnis, das die größten Umwälzungen verursachen könne, verbreitete er. Aber das war reiner Neid, glauben Sie mir. Der gleiche Kollege hat ihn einige Jahre später bei seiner zweiten Buchveröffentlichung wieder beim Bischof in Verruf gebracht. Das neue Buch wurde auf dessen Betreiben sofort eingezogen. Bischof Billard soll außer sich gewesen sein. Nun, beim zweiten Buch mag ich das schon verstehen. Es hieß „Lazarus, komm heraus“ und mein Großonkel erweckte den Eindruck, als sei die Geschichte mit Lazarus nicht im Heiligen Land, sondern hier in Südfrankreich passiert. Bischof Billard beließ es dann allerdings bei einer formellen Mahnung. Ganz anders als sein Nachfolger, Bischof Beausejour. Er setzte später alles daran, Onkel Henri aus seinem Amt zu stürzen. Stellen Sie sich nur vor, Madame LeBreton, nach zweiundvierzig Jahren als Seelsorger in unserer Gemeinde musste er schließlich dem Druck der Obrigkeit nachgeben und von seinem Amt als Pfarrer zurücktreten. Und die Einwohner unseres Städtchens hingen so sehr an ihm. Das können Sie mir ruhig glauben. 1914 zog er sich nach Axat zurück, seinen Geburtsort. Er war mehr als verbittert darüber. Und niemand wusste, was ihn dazu bewogen hat. Nach Axat zu gehen, meine ich. Niemand von
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