Lustnächte
unserer Familie lebte mehr dort. Und auch mein Urgroßvater Edmond war zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre tot.“
„Und Pfarrer Rescanières trat dann seine Nachfolge an, nicht wahr?“
„Allerdings. Eingesetzt von Bischof Beausejour. Er tat alles, um den Lebenswandel von Onkel Henri kritisch zu durchleuchten. Natürlich im Auftrag des Bischofs. Aber der Schnüffler nahm kein gutes Ende. Weiß Gott, in was er seine Nase sonst noch zu tief gesteckt hat. Jedenfalls wurde er erschossen. Wer es getan hat und warum, weiß bis heute niemand. Onkel Henri behauptete, er kenne den Grund. Aber er vertraute sich niemandem an. Er schrieb allerdings an den Bischof, er könne Licht in die Angelegenheit bringen. Wahrscheinlich ein letzter verzweifelter Versuch, sich zu rehabilitieren. Nun, es kam nicht mehr dazu. Onkel Henri starb in der Nacht, bevor die Gesandten des Bischofs nach Axat kamen. Wenn er wirklich etwas über diesen Mord wusste, nahm er es mit ins Grab.“
„Dann war er wohl nicht mehr bei bester Gesundheit zu diesem Zeitpunkt?“
„Ach nein, schon nicht mehr, seit er seine Stellung in Rennes-les-Bains hatte aufgeben müssen. Und er wusste wohl, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er vor seinen Schöpfer gerufen werden würde. In der Nacht seines Todes schickte er nach seinem Freund Abbé Saunière, damit dieser ihm die Beichte abnehmen und die letzte Ölung erteilen konnte.“
Aha. Saunière schien also tatsächlich zum Zeitpunkt seines Todes dort gewesen zu sein - wie der Wirt behauptet hatte. Etwas, das man sich durchaus im Hinterkopf behalten musste.
„Er hat also nach dem Abbé geschickt?“
„Ja, Abbé Saunière erzählte es später. Offenbar hat niemand in unserer Familie gewusst, wie schlecht es damals schon um seine Gesundheit stand.“
Beatrix machte sich ihre eigenen Gedanken dazu. Hatte Boudet wirklich nach Saunière geschickt? Oder hatte dieser Wind davon bekommen, dass der alte Pfarrer an den Bischof geschrieben hatte, um den Mord an seinem Nachfolger aufzuklären? Hatte er es daraufhin für nötig gehalten, Boudet zu ermorden? Und dann später die Lügengeschichte um die Letzte Ölung erfunden, als ihm bewusst wurde, dass man ihn in jener Nacht gesehen hatte? Eine Frage, die es zu klären galt. Aber sie war hier, um mehr über Boudets Wirken während seiner Amtszeit herauszufinden.
„Was ist aus seinen Büchern geworden? Wurden alle vernichtet?“
„Oh, nicht alle“, entgegnete Mademoiselle Boudet geheimnisvoll. „Warten Sie einen Moment.“
Schwerfällig erhob sie sich und verließ den Salon. Beatrix befreite sich aus dem Kissenberg, der um sie herum aufgeschichtet worden war, und betrachtete die Fotografien an den Wänden. Neben einigen moderneren, wahrscheinlich Neffen und Nichten der Dame, hingen verblichene Schwarz-Weiß-Fotos. Es gab auch mehrere Hochzeitsfotos. Und dazwischen ein weiteres, das einen freundlich dreinblickenden rotgesichtigen Geistlichen mit einem schmalen Kränzchen weißen Haares zeigte. Das musste der Urgroßonkel sein. Es gab auch ein Bild von Abbé Saunière. Er sah tatsächlich gut aus. Ohne den Priesterkragen hätte man ihn glatt für einen Schauspieler seiner Zeit halten können. Kein Wunder, dass es ihm schwer gemacht worden war, sich an das Zölibat zu halten.
„Das ist Abbé Saunière“, sagte Mademoiselle Hélène hinter Beatrix. „Er war ein wirklich guter Freund von Onkel Henri. Sie hatten so viele Gemeinsamkeiten. Abbé Saunière war ehrgeizig und intelligent. Er hatte eine hervorragende Ausbildung genossen. Ihm hätten alle Wege offengestanden, sagte Onkel Henri immer. Doches machte ihm überhaupt nichts aus, als kleiner Landpfarrer hier zu leben. Unter der Anleitung meines Urgroßonkels widmete er sich dem Studium antiker Sprachen und der Geschichte seiner Heimat. Sie müssen wissen, er stammte aus Montazels, einem kleinen Ort hier in der Nähe.“
Meinte sie mit „Geschichte ihrer Heimat“ die Geschichte um den Schatz? Sie sollte langsam das Gespräch in diese Richtung dirigieren.
„Ich hörte, dass die Renovierung der Kirche von Rennes-le-Château auch ihr gemeinsames Werk war“, entgegnete Beatrix.
„Ja, das auch. Aber sie hatten auch am gleichen Seminar studiert.“
„Und Ihr Urgroßonkel unterstützte den Abbé auch finanziell, wie man uns erzählte.“ Ein Schuss ins Blaue.
„Aber ich bitte Sie. Abbé Saunière brauchte doch keine finanzielle Unterstützung von irgendwem. Mein Onkel Henri war zwar ein
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