Lustvolles Erwachen
Antwort.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun, Madame?«
Grace bemerkte das Mitgefühl in Schroeders Blick, und seltsamerweise war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Ich werde mich anziehen, Schroeder.« Sie wandte sich ab, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Natürlich gab es keine Nachricht. Nur Schroeder, die ein hübsches nilgrünes Musselinkleid für sie herauslegte. »Ich hoffe, das ist genehm«, sagte die Zofe angespannt. »Sie haben heute Morgen Unterricht bei Ihrer Durchlaucht. Zum Tee mit Lady Haversham heute Nachmittag das hellgelbe Seidenkleid?«
Grace nickte, als Schroeder ihr dabei half, die Spuren der vergangenen Nacht abzuwaschen und dann ein Unterkleid, das Mieder und das Musselinkleid anzuziehen. Sie hatte das Gefühl, nicht richtig atmen zu können. Immer wieder spielte sich die vergangene Nacht vor ihrem geistigen Auge ab. Sie dachte darüber nach, wie viel Vertrauen nötig gewesen war, damit sie in Diccans Armen die Augen hatte schließen können. Wie viel es ihr bedeutet hatte, dass sie es hatte tun können.
Zum Glück hatte sie es ihm nicht erzählt.
»Möchten Sie frühstücken, Madame?«, fragte Schroeder. »Kakao vielleicht?«
Allein beim Gedanken daran wurde ihr übel. »Heute Morgen nicht, glaube ich.«
Nachdem Schroeder mit einem verwirrten Gesichtsausdruck gegangen war, stand Grace mitten in ihrem Schlafzimmer und fragte sich, wie dieser Tag sich entwickeln würde. Wie überhaupt alles sich entwickeln würde, wenn sie in zunehmend engere Mieder schlüpfen musste, eingesperrt von der Gesellschaft, den Konventionen, der lässigen Unterdrückung der oberen Zehntausend – und das alles, damit sie einen Ehemann halten konnte, der sie nicht wollte.
Einen Ehemann, der ab und zu zu ihr kommen und ihr das Gefühl geben würde, dass sie ihm etwas bedeutete. Der ihre Tage bestimmen würde, ohne es zu wissen. Und Grace würde schließlich alles … alles … für diese kurzen Momente mit ihm tun. Sie würde lernen, seine Seitensprünge zu entschuldigen, seine Unaufmerksamkeit, seine gleichgültige Zwangsherrschaft. Sie würde eine dieser bemitleidenswerten Frauen werden, die ihr Leben nur auf die seltenen Zuwendungen ihres Mannes ausrichtete.
Als sie inmitten ihres wenig reizvollen blauen Zimmers stand und aus dem Fenster blickte, wo die frühe Morgensonne auf die Dächer fiel und die Erdbeerverkäufer in den Straßen riefen, traf Grace die folgenschwerste Entscheidung ihres Lebens. Sie würde es nicht tun. Sie konnte es nicht. Sie hatte alles für ihn aufgegeben. Alles, was sie sich je gewünscht hatte. Alles, was sie sich je erhofft hatte. Nun blieb ihr nur noch ihre Selbstachtung, und sie hatte nicht vor, diese Selbstachtung für einen Augenaufschlag zu verschachern. Für einen Kuss. Für einen flüchtigen Blick quer durch einen Raum. Dadurch würde sie sich wieder einmal dazu verdammen, am Rande zu leben – nur um von Diccan wahrgenommen zu werden.
Bei Gott, das reichte ihr nicht.
Eine ganze Weile konnte Grace nur dastehen und zusehen, wie die Straße zum Leben erwachte. Eine Hand hatte sie gegen den Schmerz, der in ihrer Brust tobte, zur Faust geballt. Schließlich drehte sie sich um und zog am Klingelseil. Als Schroeder sich meldete, bat sie sie, eine Tasche für sie zu packen und einen Platz in einer Postkutsche zu organisieren. Sie beachtete die irritierten Blicke ihrer Bediensteten nicht, als sie höchstpersönlich ihre rote Uniformjacke und die Reitstiefel einpackte.
Sie zog sich im Foyer gerade die Handschuhe an, als zur Krönung des Tages Kit Braxton durch die Eingangstür trat.
Grace hielt inne und blickte ihn erstaunt an. Grundgütiger, sie hatte es ganz vergessen. »Kit«, begrüßte sie ihn.
Kit wurde von einem weiteren Herrn begleitet, den sie aus dem Krieg kannte. Er war kleiner, mit einem freundlichen Gesicht und den weißblonden Locken eines Engels. »Guten Tag, Alex«, sagte sie. »Warum hat Kit dich mitgebracht?«
»Als moralische Stütze«, erwiderte er mit einem schuldbewussten Lächeln, die Hände in den Taschen vergraben.
Sie nickte und wandte sich zum Salon um. »Ich habe nicht viel Zeit, aber nehmt doch Platz.«
Es war ihr unangenehm zu gestehen, dass sie Kits Mission vergessen hatte. Die vergangene Nacht hatte alles andere aus ihrem Kopf verdrängt.
Kit winkte Alex und sie in den Salon. »Wir müssen uns darauf verlassen können, dass du nicht über deine Vermutungen sprichst«, sagte er und schloss die Tür hinter
Weitere Kostenlose Bücher