Luther. Die Drohung
einem Babysitter allein gelassen. Er hat sein Bett
angezündet.«
Luther verzieht das Gesicht.
»Und ab dann wurde es immer schlimmer. Wir haben alles versucht.
Psychiater. Psychologen. Was immer uns einfiel, das wirken könnte, haben wir
versucht.«
Sie hustet in ihre Hand und lehnt sich zurück. Erschöpft davon,
alles in der Erinnerung noch einmal durchzumachen.
Luther fragt: »Kann ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
»Gerne, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Luther geht in die Küche. Unterwegs nickt er Howie zu. Deutet auf
sein Handy.
Howie runzelt die Stirn: Was?
Während Luther in die Küche tritt, tippt er weiter an der SMS. Er
findet die Gläser in einem Hängeschrank und füllt eins mit Wasser.
Am Fenster hinter dem Waschbecken steht ein Töpfchen Vaseline. Der
Deckel ist offen.
Luther blickt darauf, während er die SMS zu Ende schreibt. Er
adressiert sie an Rose Teller, Ian Reed, Benny Deadhead und Isobel Howie.
Dann bringt er Jan Madsen das Wasserglas.
Sie nimmt es dankbar an. Trinkt einen Schluck. Hält es auf ihrem
Schoß fest.
»Adoptierte Kinder«, beginnt Luther und setzt sich. »Sie machen sich
oft Gedanken über ihre leiblichen Eltern. Vor allem die leibliche Mutter.«
»Und ob. Weiß Gott, Henry hat seine zu einer wahren Madonna erhoben.
Hat sich in seiner Fantasie alle möglichen verrückten Dinge über sie
ausgemalt.«
»Wie zum Beispiel?«
»Wie zum Beispiel, dass er von bösem Blut abstammt.«
»Hat er das so gesagt? Böses Blut?«
»Böses Blut. Er war besessen von der Idee.«
»Woher kam das?«
»Jeremy ist Tierarzt. Jetzt selbstverständlich in Rente. Aber das
Einzige, wofür Henry je wirklich Interesse gezeigt hat, waren die Tiere. Also
haben wir versucht, ihn Verantwortung übernehmen zu lassen. Wir haben ihm einen
kleinen Mischlingswelpen gekauft. Digby. Wir dachten, das könnte helfen.«
»Hat es das?«
Sie nimmt noch einen Schluck Wasser. Ihre Hand zittert. Sie
antwortet: »Das weiß der Himmel. Er hatte den Hund ein paar Wochen lang. Dann
ist er weggelaufen und nie wiedergekommen.«
Luther glaubt zu wissen, was mit dem Hund geschehen ist. Er denkt,
dass Jan Madsen es wahrscheinlich auch weiß.
Er schickt die SMS ab, dann steckt er sein Handy ein und fragt: »Was
haben Sie Henry denn über seine leibliche Mutter erzählt?«
»Dass sie zu jung war. Dass sie ihn geliebt hat, ihm aber ein
besseres Leben ermöglichen wollte, als sie es ihm bieten konnte. Aber er wollte
uns nicht glauben. Und er hatte recht. In Wahrheit war sie eine Prostituierte.
Und geisteskrank. Sie hat sich selbst regelmäßig Stromschläge am Kopf zugefügt.
Mit einer Autobatterie.«
»Also haben Sie ihn angelogen.«
»Was hatten wir denn für eine Wahl? Ihn anlügen oder die Wahrheit
sagen und ihm das Herz brechen? Was hätten Sie getan?«
Howies Handy vibriert, als sie eine SMS bekommt.
Sie greift danach.
»Anscheinend ist das nicht ungewöhnlich«, sagt Jan. »Verstörte
Adoptivkinder neigen dazu, Ablehnung zu provozieren. Sie wollen ihre
Adoptiveltern zwingen, ihre Liebe unter Beweis zu stellen, indem sie sich immer
inakzeptabler verhalten. Und haargenau das hat Henry getan. Wir haben völlig
die Kontrolle über ihn verloren. Er hat Tiere misshandelt. Beging
Ladendiebstahl. Weitere Einbruchsdiebstähle. Sexuelles Fehlverhalten.«
Luther greift nach seinem Notizbuch, schlägt es auf. Er tastet seine
Taschen ab auf der Suche nach einem Stift. »Fehlverhalten welcher Art?«
»Er hat sich entblößt«, antwortet Jan Madsen. »Vor ein paar sehr
jungen Mädchen.«
Howie schaut auf ihr Handy.
Sie sieht, dass die eingegangene SMS von Luther ist:
HENRY MADSEN IST HIER.
HAUS DER ELTERN
CAVALRY CLOSE 15. FINCHLEY.
MADSEN IM OBERGESCHOSS – VATER MÖGL GEISEL
MIA DALTON OBEN? MÖGLICHE GEISEL
BITTE SOFORT UNTERSTÜTZUNG .
Howie starrt sechs oder sieben lange Sekunden auf ihr
Handy. Sie liest die Nachricht ein halbes Dutzend Mal.
Ihr Blick huscht von der SMS zu Luther und wieder zurück. Luther
lässt sich nichts anmerken.
Er sitzt einfach da und notiert etwas, während Jan erzählt.
»Scary« Mary Lally führt Suchteam Zwei zu einem leer
stehenden Wohnhaus in einer ruhigen Straße in Muswell Hill.
Das Haus befindet sich in einem frühen Stadium der Renovierung. Ein
Container steht davor. Das Haus ist voll mit den Möbeln der früheren Bewohner.
Gipskarton, Mörtel, Farbdosen und Abdeckplanen.
In der Garage hinter dem Gebäude finden sie das Auto des
verstorbenen Besitzers
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