Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
Vom Netzwerk:
aus. »Er
ist immer zu uns gekommen, wenn er in Schwierigkeiten war.«
    Sie reibt über ihr Knie, kann Luther nicht in die Augen sehen.
    »Was wollte er?«
    »Geld. Was sonst?«
    Howie kommt ins Zimmer und setzt sich leise.
    »Henry hat angerufen«, sagt Luther. »Vor einer Stunde. Hat nichts
gesagt.«
    Howie steht sofort auf. »Ich lasse den Anruf zurückverfolgen.«
    Luther streckt die Hand aus, hält sie am Arm fest. Schüttelt den
Kopf. »Er wird längst weg sein. Ich werde per SMS darum bitten, dass sie den
Anruf zurückverfolgen.«
    Howie zögert, ist unsicher, dann setzt sie sich wieder neben ihn
aufs Sofa. Ihre Oberschenkel berühren sich.
    Luther hebt die Hüfte, holt sein Handy heraus. Beginnt ungelenk eine
Nachricht zu tippen. Er runzelt konzentriert die Stirn und fragt dabei: »Ist
Ihnen bewusst, dass Henry ein Verdächtiger bei einem sehr schweren Verbrechen
ist?«
    Jan nickt. Schaut weg. Spielt mit ihrem nackten Ringfinger. Luther
betrachtet den blassen Abdruck, wo der Ehering gesteckt hatte, dann die
geschwollenen, arthritischen Fingerknöchel.
    »Ich muss Sie fragen«, sagt er. »Warum haben Sie nicht die Polizei
verständigt, als er angerufen hat?«
    »Was hätte ich denn sagen sollen? Mein mir fremder Sohn hat
angerufen, nichts gesagt und dann wieder aufgelegt? Damit hätte ich Ihre Zeit
verschwendet.«
    Einen Moment lang unterbricht Luther sein akribisches und
umständliches SMS-Tippen. »Mrs Madsen. Niemand gibt Ihnen die Schuld daran.«
    Sie nickt, tut so, als glaubte sie ihm. Zupft an ihrem Ringfinger.
    »Stehen Sie mit Henry in Kontakt?«, fragt Howie. »Ganz allgemein?«
    »Wir haben zwanzig Jahre lang kein Lebenszeichen von ihm erhalten.«
    Luther senkt die Stimme. »Wir haben gehört, Henry wurde adoptiert?«
    Jan schnaubt in ihren Schoß, ein Ausdruck uralter, unermesslicher
Bitterkeit. »Haben Sie Kinder?«
    »Nein«, antwortet Luther.
    »Tja, wir haben es versucht«, sagt Jan. »Jeremy und ich. Wir haben
es immer wieder versucht. Damals gab es noch keine künstlichen Befruchtungen.
Das war in den frühen Siebzigern.«
    »Und wie alt war Henry, als Sie ihn adoptiert haben?«
    »Zwei. Gerade zwei geworden. Er war ein hilfloses kleines Ding.
Einen Hund würde man nicht so behandeln, wie seine Mutter ihn behandelt hat.
Das arme kleine Ding, sie hat ihn geschlagen, ihn hungern lassen und weiß Gott
was sonst noch alles. Hat ihn in einen Schrank gesperrt, wenn ihr Herrenbesuch
vorbeikam. Sie hat ihn geprügelt. Ihn auf alle Arten beschimpft.
Scheibenkleister hier, Scheibenkleister da.« Jenes bittere Lachen. »Gott, wir
waren so aufgeregt. Aber alle hatten uns gesagt: ›Ihr werdet euch auf den
ersten Blick in ihn verlieben.‹ Oder: ›Sobald ihr ihn seht, wird alles ganz
selbstverständlich sein.‹ Aber als ich in das Zimmer gekommen bin, den kleinen
Jungen mit den schmutzigen Knien und den ganz zerzausten Haaren gesehen habe.
Da habe ich ihn angesehen, und mein erster Gedanke war: ›Du gefällst mir
nicht‹.
    Und ich habe mich dafür gehasst. Mich abgrundtief gehasst. Ich war
von Schuldgefühlen geplagt von der Minute an, als wir ihn nach Hause brachten.
Danach habe ich es … verdrängt, denke ich.«
    Aus dem zögerlichen Gebrauch des Wortes hört Luther Jahre voller
Qualen und Selbstanklagen heraus.
    »Wenn man nicht die Liebe empfindet, von der man glaubt, dass man
sie empfinden sollte«, sagt sie, »kriegen sie es mit. Sie kriegen es mit.
Kinder sind so empfänglich für solche Dinge.«
    »Es gibt ein sogenanntes Adoptivkind-Syndrom«, sagt Luther. »Etwa
zehn Prozent der adoptierten Kinder zeigen eine Verhaltensstörung. Daran ist
niemand schuld.«
    »Damals gab es noch keine Syndrome«, entgegnet sie. »Zu unserer Zeit
ging es immer um die Erziehung. Und die Wahrheit ist, ich hatte keine
mütterlichen Gefühle für ihn.« Sie sieht auf ihre Hände. Sie beginnt
nacheinander an ihren Fingerknöcheln zu ziehen. »Ich hatte Beschützerinstinkte «,
sagt sie. »Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihm etwas zustößt. Und
ich hatte Mitleid mit ihm. Aber ich habe ihn nicht geliebt. Nicht so. Lange Zeit nicht. Und dann,
als ich endlich so weit war, ihn wie mein eigenes Kind zu lieben, wie es sich
für eine Mutter gehört, na ja. Da war es zu spät.«
    »Wie alt war er, als die Probleme angefangen haben?«
    »Ungefähr sieben. Jeremy und ich sind an unserem Hochzeitstag essen
gegangen. Nur in dem kleinen Bistro, das damals an der Hauptstraße war. Wir
haben ihn zum ersten Mal mit

Weitere Kostenlose Bücher