Lux Aeterna (German Edition)
hineinzuschlagen.
Seine Augen, in denen die Tragik seines Schicksals zu lesen stand, blickten durch die Schwärze des angrenzenden Raumes wie durch die Seelen, denen er begegnete. Er wunderte sich, dass der Holzsarg dort noch nicht längst zerfallen war, offenbar musste hier so eine Art Vakuum geherrscht haben. Leander trat durch das Loch in der Mauer und leuchtete den Raum mit der Fackel aus. Einem Menschen wäre das Atmen hier drin schwer gefallen.
Der schmucklose Sarg war aus Holunderholz, der Sage nach mit magischen Kräften gesegnet, denn der Holunder war eine Pflanze, die schon im alten Rom für die Zwischenwelt stand.
„Sehr passend“, murmelte der Halbengel und versuchte gedanklich, mit dem Bewohner dieses Sarges Kontakt aufzunehmen. Lange Zeit geschah nichts.
Es herrschte im wahrsten Sinne des Wortes eine Totenstille. Nur das gelegentliche Huschen von Ratten nahmen die feinen Ohren des Atlanters wahr. Er hatte Zeit.
Die Fackel erlosch irgendwann.
„Wer seid Ihr?“ , hörte er plötzlich eine Stimme in seinen Gedanken.
„Endlich“ , dachte er nur. „Willkommen, Meister Carolus. Ich fürchte, Ihr müsst Euren Schlaf abbrechen. Die Welt braucht einen Kämpfer“ , grüßte er den erwachenden Vampir. Wieder blieb es einige Zeit still.
Dann ein Krachen, das von den Wänden der Katakomben widerhallte, als der Holzdeckel zerbarst und ein Wesen aus längst vergangenen Zeiten dem Sarg entstieg. Carolus trug noch die Fetzen einer Toga, er musste also zur Zeit der ersten Christen seine Schlafperiode begonnen haben, als das Kreuzzeichen noch nicht gegen die Vampire angewandt wurde.
„Schön und gut“ , dachte Leander, „dagegen müsste er also immun sein, aber den ganzen Rest darf ich ihm jetzt schonend beibringen.“ Er seufzte.
An eines hatte Leander auch nicht gedacht: Dieser Vampir hier benötigte Blut, um zu alter Stärke zurückzukehren. Der kräftige Körper des Vampirfürsten streckte sich und dabei zerriss das restliche Kleidungsstück. „Bleibt bitte noch eine kurze Zeit hier, Meister Carolus, ich werde Euch ein passendes Gewand und etwas Nahrung verschaffen.“
Marcus Carolus musterte den Störenfried seines Schlafes mit dem Blick eines Befehlshabers, der einen einfachen Soldaten maßregelt. „Nun gut, geht, aber bleibt nicht zu lange. Mich dürstet!“ , befahl er dem Halbengel.
Leander verschwand im selben Augenblick vor seinen Augen.
* * *
Es hatte den Atlanter einiges an Mühe gekostet, den aufgewachten Vampirfürsten die heutige Situation zu erklären. Nach einer ersten Mahlzeit mit Tierblut aus einer Schlachterei und in moderner Kleidung sah der frühere römische Kriegsherr fast normal aus. Schwarzes lockiges Haar, tief dunkle Augen in einem markanten, leicht gebräunten Gesicht. Er mochte zu Lebzeiten als Mensch vielleicht Anfang Dreißig gewesen sein.
Leander Knight bat den Fürsten, auf sein Weingut in der Toskana mitzukommen, und dort dauerte es weitere drei Tage, bis Carolus einigermaßen mit den heutigen Verhältnissen vertraut war. Leander kam sich dabei vor, wie ein Schulmeister, der einen Grundschüler unterrichtete und das noch auf Latein.
Nach und nach war es dem Vampirfürsten aber möglich, die heutigen Sprachen zu adaptieren, schneller als es einem Menschen je gelingen würde. Seine übernatürlichen Fähigkeiten waren langsam wieder zu voller Blüte erwacht. Leider auch sein Durst! Leander musste zunächst einige Rinder auf den Nachbarhöfen besorgen. Wie lange würde sich der Fürst damit zufrieden geben?
An eine Versorgung mit dem künstlichen Blut war vorerst nicht zu denken, dass hätte eine sofortige Entdeckung des alten Meisters zur Folge gehabt. Und zunächst musste er dafür sorgen, dass der Römer unentdeckt blieb.
Seine Haushälterin Maria war an allerlei merkwürdigen Besuch gewöhnt, und die Landarbeiter durften das Haupthaus nicht betreten. Ein abgedunkeltes Zimmer sorgte dafür, dass der Vampirfürst tagsüber ungestört schlafen konnte, denn die Meister folgten dem traditionellen Schlafrhythmus der Vampire.
Leander gab dem Fürsten auch das Serum gegen die neue Vernichtungswaffe der Menschen, das Engelsblut , und dann erinnerte er sich an Lady Alderley. Doch was sollte ihm eine Grenzgängerin bei seinem Plan nutzen? Davon gab es noch andere.
Trotzdem ließ dieser Name dem Halbengel keine Ruhe. Wenn er der Sache auf den Grund gehen wollte, musste er sich beeilen, denn das Erwachen eines so alten
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