Lux Aeterna (German Edition)
müssen – alle Drei!
„Eines der älteren Mädchen hat einen weißen Lieferwagen mit Werbeaufdruck vor dem Ballettstudio gesehen, als das Mädchen verschwunden ist“, berichtete Rita dem Kommissar, der gerade zur Türe hereinkam. „Aber der scheint öfter da zu stehen, gehört wohl dem Hausmeister. Deshalb ist der Wagen auch niemandem aufgefallen. Die Kollegen vom Straßenverkehrsamt versuchen gerade, den Halter zu ermitteln.“
Das Telefon klingelte bereits. Welsch nahm den Hörer ab und begann zu notieren. Dann führte er noch ein paar andere Telefonate.
„Dietrich von Zell, verarmter Adel, zweiundfünfzig Jahre alt, hält sich mit seinem Hausmeisterservice so gerade über Wasser. Versuchen Sie mal, mehr über den Kandidaten herauszufinden! Foto kriegen wir in Kürze.“
Rita begann mit ihren Recherchen, sobald die Email mit dem Foto des Verdächtigen eingetroffen war.
Das Einzimmerapartment, in dem von Zell gemeldet war, stand leer. Briefe und Rechnungen stapelten sich im Briefkasten.
Rita sah daher sofort, dass ihr Weg vergebens gewesen war. Der Bewohner war ausgeflogen. Sie fuhr mit dem Foto noch einmal in die russische Ballettschule.
* * *
„Der Didi, ja, der hat mal hier getanzt, früher, so mit zwölf oder dreizehn Jahren“, sagte die ältere Dame, die gerade ihre Enkelin aus der Ballettakademie abholte, als Rita ihr das Foto zeigte. „Ich war damals in seiner Klasse. Der war echt gut. Hätte es weit bringen können. Schade.“
„Wieso schade?“, hakte Rita nach.
„Na ja, nachdem die Mutter gestorben war – und die war eine echte Adelige, wissen Sie –, fing sein Vater an zu trinken. Hat ihn immer wieder verprügelt. Bei den ganzen Ohrfeigen hatte der Didi dann mal einen Hörsturz und kam ins Krankenhaus“, erklärte ihr die kleine Frau mit dem grünen Jagdhut und der Fasanenfeder auf dem Kopf. „Hab ihn danach nicht mehr tanzen gesehen, konnte wohl nicht mehr viel hören, der arme Kerl.“
Rita war geschockt. Für einen Tänzer, der die Musik nicht hören konnte, musste eine Welt zusammengebrochen sein!
„Der Kerl hat wohl ein Trauma erlitten, das ihn bis heute verfolgt“, sagte Harald Welsch auf ihren Bericht hin.
„Das Ganze hat allerdings ein Gutes, er wird den Mädchen nichts antun!“, meinte Rita hoffnungsvoll.
Der Kommissar bezweifelte das. „Und was ist, wenn die nicht mehr tanzen wollen oder können? Wir müssen die Kinder so schnell wie möglich finden! Aber wo sollen wir da anfangen?“
„Wenn er sie tanzen lässt, braucht er Musik“, kombinierte Rita, „und zwar ziemlich laute, weil er sonst nichts hört. Und das kann er nur tagsüber machen, weil die Kinder nachts schlafen müssen und die laute Musik zu sehr auffallen würde. Das heißt, wir suchen ein abgelegenes Haus oder so etwas Ähnliches.“
„Davon gibt es allein in den Vororten viel zu viele! Das ist eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen!“
Rita blickte auf. „Wir haben doch jemanden, der wesentlich schärfere Sinne hat als wir!“
Kommissar Welsch seufzte. Langsam wurde dieser Kerl unentbehrlich, und genau das störte ihn.
Eine schlanke, hoch gewachsene Gestalt stand reglos wie ein Mahnmal auf dem Dach des alten Lagerhauses mit der verblichenen Aufschrift einer alten Teekompagnie. Der Wind spielte mit den halblangen, dunklen Haaren. In diesen frühen Morgenstunden erwachte die Großstadt zum Leben und begann, tausende von Geräuschen zu produzieren. Das fordernde Rufen der Schiffe drang vom Hafen her herüber. Doch Jasons Ohren waren schärfer als die eines Menschen und was er hörte, war – Schwanensee!
* * *
„Wenn wir das Gebäude mit einem Polizeiaufgebot umstellen, dreht der Kerl vielleicht durch, und wir müssen in erster Linie an die Kinder denken!“, sagte der Kommissar, als Jason ihnen den Standort des Abbruchhauses nannte, aus dem er die Musik wahrgenommen hatte.
„Dann versuchen wir es eben im Alleingang“, schlug Rita vor, die sich ebenfalls Sorgen um die Mädchen machte. Der Kommissar prüfte noch kurz seine Waffe, dann fuhren sie los.
Dietrich von Zell war ganz in seiner Welt versunken, mit einem Taktstock dirigierte er seine drei verschreckten kleinen Tänzerinnen, korrigierte immer wieder deren Haltung. Trotzdem war der Mann nicht zu unterschätzen, denn in seinem Gürtel steckte eine Pistole, mit denen er die Mädchen bedrohte, wenn diese aufhören wollten zu tanzen. Dabei mussten ihnen schon die Füße wehtun.
Als der
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