Lux perpetua
ritten sie schnell und erblickten noch vor Sonnenuntergang die Stadttürme. Reynevan
hatte zuvor zwar geahnt, welche Stadt dies war, aber erst als sie sich kurz vor Cosel scharf nach Westen gewandt hatten, in
den Wald hin, hatte er gewusst, wohin und zu wem sie sich begeben würden. Und hatte er zuvor noch Zweifel gehabt, so wurden
diese beim Anblick der Ritterschar, die ihnen entgegenkam, zerstreut. Er kannte die Ritter, kannte ihre Namen und ihre Wappen.
Prawdzic. Nieczuja. Und an der Spitze
. . .
»Gott helfe Euch!«, grüßte Chris von Kirchhain vom Wappen Ogończyk sie und machte es sich im Sattel bequem. »Gott helfe Euch,
Ihr Herren. Ich freue mich, Euch zu sehen, Herr Reynevan. Willkommen in Oberglogau. Wir wollen uns beeilen. Herzog Bolko hält
schon eifrig nach Euch Ausschau.«
Der Blick von den Mauern der Burg von Oberglogau zeigte bis in alle Einzelheiten die Zerstörungen und Verwüstungen, welche
Glogovia Minor
, bis dahin eine Perle der schlesischen Baukunst, während der Kriegszüge im letzten Jahr erlitten hatte. Die am Fluss Hotzenplotz
gelegene Wasservorstadt war ganz einfach verschwunden, es war kaum vorstellbar, dass auf der schwarzen Kruste aus verbrannter
Erde einst Gebäude gestanden haben sollten. Ein ähnliches Schicksal hatte die früher dicht besiedelte, lebhafte Burgvorstadt
betroffen. In die Coseler Vorstadt war zwar das Leben allmählich zurückgekehrt, aber auch hier sah man noch deutliche Spuren
der Brände, die vor einem Jahr, am Freitag vor
Laetare
Anno Domini 1428, gewütet hatten, als Truppen Tábors, die zuvor das Paulinerkloster in Mochau ausgeraubt hatten, über Oberglogau
hergefallen waren: die Böhmen unter Jan Zmrzlík ze Svojšína und die Polen unter Dobko Puchała.
Aber nicht allein die Vorstädte hatten damals etwas abbekommen, erinnerte sich Reynevan. Die Stadttore waren aufgebrochen
und die Mauern gestürmt worden, Zmrzlík und Puchała waren in die Stadt eingedrungen und hatten ein Blutbad und Verwüstungen
angerichtet, von denen sich Oberglogau bis zum heutigen Tag noch nicht wieder erholt hatte. Die aus Steinen errichteten Häuser
am Marktplatz waren schwarz von Ruß und Brand; als Ruine bot sich ihnen, trotz des andauernden Wiederaufbaus, der südliche
Teil der Stadt um die Kollegiatkirche St. Bartholomäus dar. Diese hatte einiges abbekommen, das Franziskanerkloster hingegen
hatte schwer gelitten.
»Ein erschütternder Anblick, nicht wahr, Reynevan?« Herzog Bolko Wołoszek stützte sich mit seinen Unterarmen auf die Mauer.
»Aber du weißt, dass die Stadt trotzdem noch von Glück sagen kann. Als ich damals im März ein Abkommen mit euch geschlossen
habe, hat Prokop dem Wüten Einhalt geboten und befohlen, die gefangen gesetzten Bürger freizulassen. Nachdem sie ihre Freiheit
wiedererlangt hatten, haben sie sich sogleich an den Wiederaufbau gemacht, nur deshalb ist derName Oberglogau noch nicht von der Landkarte Schlesiens verschwunden. Es wird noch etwas dauern, bis auch Neustadt, Zülz und
Zeiselwitz wieder auf der Landkarte erscheinen.«
»Ich werde es nicht zulassen, dass andere Städte das Schicksal von Neustadt und Zülz ereilt«, fuhr der Herzog fort. »Oberglogau
hat dank des Bündnisses mit euch, den Hussiten, überlebt. Das ich auf deinen Rat hin geschlossen habe, Reinmar, mein Freund
und Kommilitone an der Prager Universität. Das habe ich nicht vergessen. Deswegen habe ich auch darauf bestanden, dass du
jetzt Prokops Gesandtschaft angehörst. Wir werden darüber sprechen, aber in den Gemächern, beim Wein. Bei sehr viel Wein.
Beim Anblick dieser Brandstätten überkommt es mich noch immer, und ich will mich dann nur noch sinnlos besaufen.«
»Ich habe gehört«, Wołoszek schwenkte den ungarischen Wein in seinem Pokal, »in Breslau hätten sie dich exkommuniziert. Willkommen
im Klub! Nicht genug damit, dass wir beide Kommilitonen sind, ehemals Studenten an der Prager Karls-Universität, jetzt sind
wir auch noch beide mit dem Anathema belegt. Mich haben sie, das ist ja wohl klar, wegen des Abkommens mit euch exkommuniziert.
Und weil ich damals diesem Priester den Kopf mit der Keule weichgeklopft habe. Aber ich pfeif’ auf ihren Kirchenbann. Die
können mich bis zum Jüngsten Tag verdammen, das geht mir doch am Arsch vorbei. Mich, mein Kamerad, werden die Franziskaner
so oder so eines Tages mit großem Pomp im wiedererbauten Oberglogauer Kloster in der Krypta ihrer Kirche bestatten,
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